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»Was nützt ein Kühlschrank voller Büroklammern«

Das Erste, an dem man spart, ist die Kultur. Ein Satz, den man 2020 oft hörte. Wir sprachen mit dem Görlitzer Musiker Marc Winkler darüber, wie er das vergangene Jahr erlebt hat.

2019 war Marc Winklers bisher erfolgreichstes Jahr als Musiker und Gitarrenlehrer. Vor allem die Liveauftritte des Görlitzers waren gefragt. Über einhundert Mal stand er auf der Bühne, meist hier in der Region und im Raum Dresden wollten ihn die Menschen hören. Kurz um: Es lief sehr gut für den Freiberufler. Dann kam der erste Lockdown im Frühjahr. »Wohl dem, der vielseitig aufgestellt ist. Dadurch das ich auch Gitarrenunterricht gebe, blieb zumindest ein Teil des Einkommens«, sagt Marc Winkler. Den Unterricht gibt er an verschiedenen Schulen auf Honorarbasis. An einer Schule konnte er das online fortführen. Überall ging das nicht, weil schlicht die nötige Infrastruktur fehlte. Erfahrungen hatte Marc Winkler mit Onlineunterricht nicht. Quasi über Nacht musste er sich eine technische Lösung suchen, die nicht nur für ihn, sondern auch für möglichst viele seiner Schüler funktioniert. So brachen im ersten Lockdown für ihn zwar nicht alle Einnahmen weg, aber durch ausgefallene Auftritte und weniger Unterricht sanken sie um 80 Prozent.

Überbrückungshilfe, Kredite und ALG II

Er tat, was alle taten und informierte sich über mögliche staatliche Hilfen. »Es gab die Möglichkeit, einen Kredit zu nehmen. Aber das ist letztlich nur ein verschobenes Schuldenmachen«, sagt Winkler. Wie viele andere Künstler auch wollte er das nicht. Außerdem gab es die Überbrückungshilfe. Bis zu 9000 Euro. Allerdings durfte die nur für Fixkosten verwendet werden. Man konnte beispielsweise die Miete fürs Büro damit zahlen, oder das Gehalt eines Angestellten. Für den Lebensunterhalt war das Geld nicht gedacht. »Was nützt ein Kühlschrank voller Büroklammern«, sagt Marc Winkler. Er hatte plötzlich kaum noch Einnahmen, musste trotzdem Miete für seine Wohnung zahlen und Lebensmittel kaufen. Die Überbrückungshilfe war für viele sicher keine Hilfe Bleibt die Möglichkeit, sich beim Arbeitsamt zu melden. »Das hatte damals noch so einen solidarischen Touch nach dem Motto wir sitzen alle in einem Boot und jetzt helfen wir uns mal gegenseitig«, so Winkler. Also wollte er sich »nicht arbeitssuchend« melden. Trotzdem fiel es ihm schwer, ALG II zu beantragen. Der Zugang dazu sollte in der Corona-Zeit vereinfacht werden, es gab ein entsprechendes kürzeres Formular. Fünf Seiten waren auszufüllen. Zwei Stunden nach der Abgabe beim Arbeitsamt klingelte sein Telefon. Ein Mitarbeiter des Jobcenters rief an. Man brauche das richtige Formular, das vereinfachte nütze nichts. Also über 30 Seiten ausfüllen. »Dort wurde unter anderem nach der Bereitwilligkeit gefragt, sich wieder in den Arbeitsmarkt eingliedern zu lassen. Aber ich war nicht arbeitssuchend. Da hängst du erstmals komplett in den Seilen und verstehst die Welt nicht mehr«, sagt Marc Winkler. Er füllte nur das aus, was er für nötig hielt. »Ich wollte beispielsweise mein Vermögen nicht offenlegen.« Natürlich kam das Formular postwendend zurück mit dem Hinweis, es müsse alles ausgefüllt werden. Getan, abgelehnt. Dann hießt es, vom Ersparten zu leben, das eigentlich als Altersvorsorge gedacht war Im Sommer gab’s wieder einige Auftritte für den Görlitzer. »Es kamen ein paar Anfragen rein, aber das Ganze hatte eher Amateurstatus«, sagt Marc Winkler. Leben konnte er davon nicht. »Das Erste, woran gespart wird, ist die Kultur«, sagt der 40-Jährige. Bevor überhaupt wieder ein bisschen Fahrt in die Sache kam, klopfte schon der Oktober an die Tür und der sogenannte Lockdown light zeichnete sich ab und kam im November. Die wenigen Auftritte, die in dem Monat geplant waren, fielen aus. Und es dämmerte den meisten Künstlern bereits, dass sich an dieser Situation auch in der Advents- und Weihnachtszeit nichts ändern würde.

Online und vor Autos spielen?

Dass die Infektionszahlen im Winter steigen würden, war abzusehen. Das Schreckgespenst zweiter Lockdown schwebte schon im Frühjahr und Sommer über Deutschland. Doch vorbereiten kann man sich als Künstler kaum, wenn man seiner Passion nicht den Rücken kehren will. Einige Musiker gaben Online-Konzerte. Das mag international oder zumindest national bekannten Künstlern etwas bringen. Aber als regionaler Künstler? »Damit verdient man ja eher kein Geld und ich möchte mich ungern verramschen«, sagt Winkler. Auch Autokonzerte, ähnlich dem Konzept eines Autokinos, gab es. Alles keine Lösung. »Manche Dinge funktionieren nur zwischenmenschlich.« Natürlich stand beim zweiten Kultur-Ausbremsen wieder die Frage nach staatlicher Hilfe im Raum. Der Bund kündigte die November-Hilfe an. 75 Prozent des Umsatzes aus dem Vorjahr sollte es  geben. Das Ganze wurde später auf den Dezember ausgeweitet. Online zu beantragen, eine Seite zum durchklicken. »Das läuft sehr unbürokratisch«, sagt Marc Winkler. Aber was machen Künstler, die im November 2019 nichts oder nur sehr wenig verdient haben, weil sie beispielsweise ihre Konzerte im Sommer geben und dann im Winter von den Sommereinnahmen leben? Die Diskussion geisterte sofort nach Ankündigung der Hilfe durchs Netz. Doch hier konnte man den Jahresdurchschnitt angeben. Kein Problem also. Der Teufel steckte an anderer Stelle im Detail. »Die Eintrittsschwelle ist sehr hoch. Man musste im November 80 Prozent Ausfall gegenüber dem Vorjahr haben«, sagt Marc Winkler. Sonst gibt’s nichts. Problem: Von den wenigen Auftritten, die er im Sommer hatte, wurde bei einigen die Rechnung erst im November bezahlt. Erwirtschaftet wurde das Geld zwar in anderen Monaten, aber es wanderte im November aufs Konto. Die Angst schwang mit, dass ihn das für die Novemberhilfe disqualifiziert. Doch diesmal klappte es mit der Unterstützung vom Staat, die Novemberhilfe wurde gezahlt und der Görlitzer wird natürlich auch die Dezemberhilfe beantragen.

Lockdown bis März?

Wann er wieder auftreten kann, steht für Marc Winkler wie für alle Künstler noch in den Sternen. Viele rechnen aber damit, dass der Lockdown bleibt, bis die Temperaturen wieder steigen. Wie es bis dahin weitergeht? »Die Antwort ist Knäckebrot«, sagt der Görlitzer und lacht. Man hört den Galgenhumor. Er selbst werde so lange hinkommen. Die letzten Jahre liefen gut und anders als im Frühjahr seien die Hilfsprogramme jetzt ein wenig realitätsnäher.  Ob das für alle Künstler gilt, da hegt der Musiker Zweifel. In jedem Fall hat die Krise aber nicht nur an seinen Nerven, sondern auch an seinem Ersparten
genagt. »Viele Künstler lebten und leben jetzt von ihrer Altersvorsorge. Ich habe keinen Maserati oder Porsche vor der Haustür, ich habe das Geld auch nicht irgendwelchen Firmen gegeben. Nein, ich habe alles beiseitegelegt fürs Alter, weil es im Alter wahrscheinlich irgendwann mal nicht mehr so witzig sein wird, Musiker zu sein.«


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