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Das Lachen der Sekttrinker: Zum 80. von Jurij Koch

Der im Cottbuser Stadtteil Sielow lebende Schriftsteller Jurij Koch beging am 15. September seinen 80. Geburtstag. Der Erzähler und Romancier, Dramatiker und Kinderbuchautor, Reporter und Publizist ist im Deutschen ebenso zu Hause wie im Niedersorbischen und Obersorbischen. Er überträgt seine Texte selbst in die jeweils andere Sprache, die er dann durch Wortneuschöpfungen, eigenwillige und originelle Formulierungen bereichert. Vor wenigen Tagen ist im Domowina Verlag Bautzen der zweite Band seiner Erinnerungen „Windrad auf dem Dach“ erschienen.

Jurij Koch war und ist stets für Leute, die das Sagen haben oder sich als Bestimmer fühlen,  ein konsequenter Querdenker, der in Wirklichkeit geradeaus denkt. So hat er schon zu DDR-Zeiten unbedingte Fortschrittsgläubigkeit in Frage gestellt. Angesichts immer neuer, als heroische Erfolge gefeierter Tagebauneuaufschlüsse, Mondlandschaften auf der Erde, abgebaggerter Dörfer, vertriebener und zerstörter Fauna machte er die Rechnung auf: „Wie viel verlieren wir, wenn wir so viel gewinnen?“ Geradeaus gedacht, war das für den Querdenker „Landes- und Weltbeschädigung“, die die Lebensqualität künftiger Generationen auf das Spiel setzt. Er, der in jüngeren Jahren eine Verpflichtungserklärung für das MfS eingegangen war, deren Verwirklichung aber verhinderte, geriet nun selbst ins Visier der Stasi.
Seine Sorgen um die Umwelt, das Klima, die Heimat der Menschen und die Menschheit überhaupt waren nicht zu Ende, als der Sozialismus am Ende war. In seinem neuen Buch stellt er sich vor, wie die neuen Besitzer angesichts der vor 1989 ungehemmten Vorbereitungen auf neue Abbaggerungen frohlockten: „Es war nicht alles schlecht in der DDR, nicht wahr! Und ein Lachen geht durch die Reihen der Sekttrinker.“ Ein für ihn schrecklich unvernünftiges Lachen. Hat er doch in seinem großen, jedem Leser unter die Haut gehenden Essay „Jubel und Schmerz der Mandelkrähe. Ein Report aus der sorbischen Lausitz“ (1992) deutlich gemacht, dass es nicht nur um die Kohle (was für ein kapitalistisch-doppeldeutiges Wort!) geht, sondern um das Recht (und nicht nur den Nutzen) von Lebewesen, um eine bedrohte Sprache und Kultur, um harmonisches menschliches Miteinander.
1936 im Oberlausitzer Dorf Horka als Sohn eines Steinbrucharbeiters geboren, erlebte Jurij Koch karge Zeiten, in denen an Sekt niemand dachte. Sein Vater starb beim Hausbau, seine Mutter trug alle Last für die nun dreiköpfige Familie. Seine Schulen standen im tschechischen Varnsdorf, in Bautzen und schließlich in Cottbus, was seine sprachliche Vielfalt erklärt. Frühzeitig begann er, für sorbische Zeitungen zu schreiben, erlebte mit, wie Sorben in der DDR hofiert und instrumentalisiert wurden, ging zum Journalistikstudium nach Leipzig. Unter anderem wegen unbotmäßiger Kabaretttexte und seiner  nicht beendeten Kirchenzugehörigkeit fiel der „Querdenker“ auch hier auf. Seit 1976 widmete er sich freischaffend ganz der Literatur. Lang ist die Liste seiner Bücher, mit denen er immer wieder Anstoß erregte. Wer sollte auch, wenn er linientreu war und dem sozialistischen Realismus huldigte, so einem Slogan  folgen wie „Abwärts schreitend an Höhe gewonnen“ (in „Landung der Träume“, 1982). Mit „Der Kirschbaum“ (1984; neu herausgegeben 2015) gelang ihm eine der schönsten deutschsprachigen Novellen der letzten Jahrzehnte. Seine Erzählung „Am Ende des Tages“ (2009) erhellt ein Stück obersorbischer Geschichte und stellt sich kunstvoll in  Kleists Kohlhaas-Tradition.
Über dieses Lebenswerk können Sekttrinker nun wirklich ein frohes  Lachen anstimmen: Zum Wohl! (Klaus Wilke)


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