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Der singende Nachtwächter hört auf

Hagen Rittel verkörperte zwölf Jahre lang den Spremberger Nachtwächter Kulke. Seit der 1.000-Jahr-Feier 1893 hat es viele Kulke-Darsteller in der Stadt gegeben. Doch nun hört Hagen Rittel aus gesundheitlichen Gründen auf. Er gibt WochenKurier ein letztes Nachtwächter-Interview.
Hagen Rittel alias Nachtwächter Kulke. Foto: Archiv

Hagen Rittel alias Nachtwächter Kulke. Foto: Archiv

Wie kam es dazu, dass du vor zwölf Jahren in die Fußstapfen von Rainer Scheudeck als Nachtwächter Kulke getreten bist? Hagen Rittel: Nach dem Tod von Rainer Scheudeck vergingen erst einmal zwei Jahre. Dann begann der MC Spremberg, der ja traditionell für die historischen Figuren der Stadt zuständig ist, mit der Suche nach einem neuen Nachtwächter. Ich hatte zu diesem Zeitpunkt gerade die Umsiedlung Haidemühls in halbwegs verantwortlicher Funktion hinter mir. Als die Mitglieder des MC eine Führung planten, um den neuen Ortsteil besser kennenzulernen, sollte ich das stellvertretend für unseren Bürgermeister übernehmen. Und da ich die Jahre vorher als Liedermacher mit Umsiedlungsliedern unterwegs war, hatte ich auch die Gitarre dabei. So kam eins zum anderen. Du gibst deine Funktion aus gesundheitlichen Gründen auf. Heißt das, dass du nie wieder in deinen Nachtwächtermantel schlüpfst? Das klingt für mich logisch. Jegliches hat seine Zeit. Du hast den »Singenden Nachtwächter« gegeben, weil du dich mit der Gitarre und mit Liedern gut ausdrücken kannst. Was bleibt von deinen Liedern? In mir viel. Wenn ich durch Spremberg gehe, dann habe ich an jeder Ecke eine andere Melodie oder Textzeile auf den Lippen. Ich werde die Stadt zu einem Teil immer in Liedern denken. Darüber hinaus musst du das Publikum fragen… Welche Ereignisse würdest du als Höhepunkte deiner Laufbahn bezeichnen? Im ersten Moment könnte man der Versuchung erliegen, die Abendveranstaltung des Brandenburgtages am Schwanenteich zu erwähnen. Das war schon eine große Nummer. Da soll ich wohl vor 15.000 Leuten gesungen haben. Aber ich sah in gleißende Scheinwerfer und bekam sonst außer Geräuschen nicht viel mit. Da waren die Liederstübchen bei Gäßner schon eine andere Marke. Hier konnte man immer das Weiße im Auge des Publikums sehen und jede Regung der Mimik sofort registrieren und als Rückkopplung nutzen. Das war jedes Mal herrlich und passte in dieser Kleinkariertheit auch gut zu unserer Stadt und zum Anliegen des Nachtwächters. Hattest du bei deinen Stadtführungen ein Lieblingsplätzchen? Ja, den Mittelpunktstein. Eine Sehenswürdigkeit, deren Intention man auf der einen Seite überhaupt nicht ernst nehmen kann, die aber auf der anderen Seite herrliche Verknüpfungen zu mathematischen, geografischen, politischen und historischen Zusammenhängen bietet. Das habe ich so bierernst genommen, dass ich fest geplant habe, alle Bezugspunkte der Berechnungen von Matzat persönlich zu besuchen. Nur der südlichste Punkt Deutschlands fehlt noch. Am spannendsten war der Besuch am ehemaligen östlichsten Punkt des Deutschen Reiches. Das ist heute ein russischer Truppenübungsplatz im Kaliningrader Gebiet. Der war selbst mit Sondergenehmigung schwer zu erreichen. Was war die größte Leistung des Nachtwächters in den vergangenen zwölf Jahren? Als bekennender Ossi würde ich immer zuerst sagen, dass große Leistungen in der Regel eine Mannschaftsleistung sind. Das gilt auch für die Märkische Dichterstraße. Aber wenn ich nach dem Tode von Werner Bader hier nicht aufs Gas getreten hätte, wär die wohl immer noch nicht aus dem Knick gekommen. Was wird aus deiner Mitgliedschaft in der Gilde der Nachtwächter, Türmer und Figuren? Da bleibe ich ziviles Mitglied ohne tragende Verantwortung. Hier habe ich so viele intensive Kontakte und sehe auch für die Zukunft unglaubliches Potenzial, deutsche und österreichische Kleinstädte kennenzulernen. Das kann ich nicht aufgeben. Dafür bin ich zu neugierig. Wenn sich ein Nachfolger für dieses Ehrenamt findet, was würdest du ihm (oder ihr) raten? Langen Atem haben. In der Spremberger Kultur und Geschichte verwurzelt sein. Sinn für Humor. Und sich da was abzugucken, wo regionale Kultur noch so richtig was zählt. Dafür wäre ein Eintritt in die Gilde nicht das Verkehrteste. Vielen Dank für das Interview und die gute Zusammenarbeit! Carola Zedler


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