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André Schramm

Wenn der Anruf kommt

Das Unvorstellbare ist passiert: Ein naher Angehöriger ist gestorben – durch einen Unfall, Suizid, eine schwere Krankheit. Menschen wie Volker Stäbler helfen den Hinterbliebenen in den ersten Stunden.
Volker Stäbler in Einsatzmontur. Der 60-Jährige fährt zu Hinterbliebenen, um ihnen in den ersten Stunden nach der Todesnachricht zu helfen.        Foto: Schramm

Volker Stäbler in Einsatzmontur. Der 60-Jährige fährt zu Hinterbliebenen, um ihnen in den ersten Stunden nach der Todesnachricht zu helfen. Foto: Schramm

Volker Stäbler sieht ein bisschen aus, wie aus den 80ern: lange Mähne, Schnauzer, Armeejacke. Dass der 60-Jährige viel mit dem Tod zu tun hat, merkt man ihm nicht sofort an. Der groß gebaute Mann gehört zum 14-köpfigen PSNV-Team in der Sächsischen Schweiz. PSNV steht für Psychosoziale Notfallversorgung. Sowas wie Seelsorger? »So könnte man das auch nennen«, meint er. 15 Jahre ist es inzwischen her, da war er selbst auf Hilfe angewiesen. Damals verunglückte sein Sohn mit dem Motorrad tödlich auf der Autobahn. Der 25-Jährige hinterließ eine Freundin und ein zwei Jahre altes Kind. »Für uns war die Welt zu Ende als die Polizei in der Tür stand«, erinnert sich der Brandenburger. Dort war damals Notfallseelsorge Sache der Kirchen. Ohne fremde Hilfe, so sagt er heute, hätte er es nicht geschafft.  

»Gott hat ihn zu sich geholt«

Das Gespräch nach der Todesnachricht sei gut gewesen. Nur eine Sache störte ihn, seine Frau noch viel mehr.  Der Seelsorger sprach vom lieben Gott, der den Sohn zu sich geholt habe. »Für jemanden, der keinen Bezug zur Kirche hat, fanden wir das unpassend. Wir hatten uns nicht wohl gefühlt«, gibt er zu.  Der Elektromonteur bemühte sich fortan darum, weltlichen Beistand im Todesfall leisten zu können. Er verstand, wie wichtig das Gespräch nach so einer Tragödie ist. Viele Träger der Notfallseelsorge in Brandenburg bekamen Post von ihm. Eine Antwort erhielt er nie. Dann erfuhr er von KIT, dem Kriseninterventionsteam im Landkreis Sächsische Schweiz - Osterzgebirge und belegte den Grundlehrgang. In den Kursen werden die Ehrenamtlichen befähigt, sicher auf die Hinterbliebenen zugehen zu können. »Was wir machen, ist im Prinzip Erste Hilfe, allerdings psychologischer Natur«, sagt Stäbler. Erster Schritt zur Trauerbewältigung Zehn Jahre ist er nun dabei – bei Verkehrsunfällen, Suiziden und Todesfällen im häuslichen Bereich. Auch wenn sich jemand vor den Zug wirft, gibt es Hinterbliebene, die man nicht allein lassen kann. In Altersheimen ist er ebenfalls unterwegs. »Ich erlebe es häufig, dass sich die Pflegerinnen verantwortlich für den Tod eines Bewohners fühlen«, erzählt er. Sein Einsatz beginnt jedes Mal mit einem Anruf. Dann setzt sich Stäbler in sein Auto und fährt zur Adresse. So läuft das bis zu 20 Mal im Jahr. Vor Ort ist manchmal noch die Kripo im Haus. »Wenn man das eine Weile macht, entwickelt man ein Gespür für seine Gesprächspartner«, sagt er. Er erlebe es häufig bei älteren Herren, dass sie sich im ersten Moment verschließen, dann aber froh sind, dass jemand da ist. Es wird darüber gesprochen, was man zuletzt gemacht hat, über gemeinsame Erlebnisse, den Lebensweg des Verstorbenen. Es gibt auch Situationen, in denen minutenlang niemand etwas sagt. Weggeschickt wurde er noch nie. Seine eigene Vergangenheit hilft ihm dabei, vor allem wenn das Gespräch auf die Endgültigkeit der Situation fällt. Wann Stäbler wieder nach Hause kommt, kann er vor einem Einsatz nie sagen. Manchmal dauert dieser Stunden. Manchmal bleibt er über Nacht.  Natürlich musste er selbst einen Umgang mit den Tragödien und dem Schmerz der Fremden finden. Der Austausch zwischen den Kollegen, so sagt er, funktioniere gut und helfe sehr. In seiner Familie wird auch darüber gesprochen. Nicht alles kann er dort erzählen. In seinem Ehrenamt gelangt er in den persönlichen Lebensraum von Verstorbenen, der nicht immer schön ist.  Zwei Jahre, so erzählt er heute, habe er damals gebraucht, bis einigermaßen Normalität in sein Leben einkehrte. »Ich habe irgendwann eine Linie gezogen. Es gab ein Leben davor und es gibt eins danach.« Info: Seit Januar 2020 hat der Johanniter Regionalverband Dresden ein eigenes Team für die Psychosoziale Notfallversorgung (vormals KIT) im Altkreis Sächsische Schweiz. 70 Prozent der Ehrenamtlichen kommen aus artfremden Berufen.  Die Helfer werden für ihre Tätigkeit ausgebildet und erhalten regelmäßig Weiterbildungen. Allein über die Weihnachts- und Neujahrszeit wurde das Team zu 24 Einsätzen gerufen. Wer sich für das Ehrenamt interessiert, findet hier mehr.


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