

Zum Jahresende 2019 ging Stadtplanerin Katrin Diersche, Diplomingenieurin für Landschaftsarchitektur, nach 40 Jahren Tätigkeit als Stadtplanerin in den wohlverdienten Ruhestand. Während der Stadtratssitzung vom 11. Dezember 2019 sprach ihr Oberbürgermeister Olaf Raschke seinen Dank für Jahrzehnte wertvoller und zukunftsweisender Arbeit im Dienste der Stadt aus. Das aus heutiger Sicht höchst selten gewordene lange Arbeitsverhältnis, aber auch das Maß an Erfahrung und Wissen, dass Frau Diersche über vier Jahrzehnte zusammengetragen hat, waren Anlass für ein ausführlichen Interview: Frau Diersche, als welche Person kennt man sie in Meißen? Können sie uns einen kurzen Abriss Ihres Werdeganges geben? Als geborene Zieger stamme ich aus einer alten Meißner „Dynastie“ von Gärtnern und Winzern. Insofern wurde mir der Umgang mit Pflanzen in die Wiege gelegt. Direkt nach dem Abitur 1974 am heutigen Gymnasium Franziskaneum begann ich mit dem Studium der Landschaftsarchitektur an der Technischen Universität Dresden. Obwohl ich keine Berufsausbildung in dieser Richtung abgeschlossen habe, hatte ich gewisse Vorkenntnisse durch die Ferienarbeit in der Baumschule bei meinen Eltern. An der TU Dresden wurden damals pro Studienjahr nur 20 Studenten im Fach Landschaftsarchitektur zugelassen. Das Hochschulstudium dauerte knapp fünf Jahre und obwohl ich 1978 Mutter geworden bin, konnte ich planmäßig im Frühjahr 1979 mein Diplom entgegennehmen. Wie ging es nach dem Studium weiter? Kurz vor dem Ende des Studiums erfuhr ich zufällig, dass seit 1977 in Meißen eine „Städtebauliche Planungsgruppe" als nachgeordnete Einrichtung des Rates der Stadt Meißen existierte. Im Rahmen der sogenannten „staatlichen Absolventenlenkung“ entsprechend der wirtschaftlichen Erfordernisse hatte ich mit dem Tiefbaukombinat in Dresden bereits einen Arbeitsvertrag unterzeichnet. Da ich mich aber meiner Heimatstadt und der Weinbaulandschaft sehr verbunden fühle, bemühte ich mich kurz entschlossen in Eigeninitiative um einen Arbeitsplatz in der jungen Planungsgruppe. Trotz des Widerstands seitens der Hochschule wurde mein Ansinnen von Klaus Däumer, dem späteren Oberbürgermeister, unterstützt, und so konnte ich am 1. September 1979 meine Stelle als Landschaftsarchitektin antreten. Ab 1983 hießen wir „Büro Stadtplanung“, verfügten über sieben Mitarbeiter und waren damit das einzige in Sachsen, wodurch die Grundlage für die spätere Sanierung der Stadt geschaffen wurde. Damit sind Sie gewissermaßen eine Pionierin der Meißner Stadtsanierung. Wie sah vor 40 Jahren ihr Arbeitsalltag aus? Das Büro befand sich damals in engen schlecht beheizbaren Räumen im Hinterhaus von Markt 5. Der Büroleiter führte mich in den ersten Wochen zu Fuß durch ganz Meißen. Da ich die einzige Landschaftsarchitektin der Planungsgruppe war, musste ich in den ersten Jahren die verschiedensten Arbeitsaufgaben aller Planungsebenen übernehmen, auch Objektplanungen. 1983 sind wir dann ins Brauhaus umgezogen, wo wir gemeinsam das Büro auf- und ausgebaut haben, einschließlich der Reinigungsarbeiten sowie dem Kohlehochtragen aus dem zweiten Kellergeschoß für die Etagenheizung. Sie haben also selbst Hand angelegt? Ja, das war für uns damals selbstverständlich. Welchen Stellenwert hatte Stadtplanung damals? Die Stadtplanung als solche war anerkannt, nur die Umsetzungsmöglichkeiten waren gering. Oft genug war die Arbeit eher frustrierend, da es ja an allem fehlte. Die Pläne unterlagen generell der Geheimhaltung, weil deren Realisierung wirtschaftlich oft nicht machbar war. Welches war ihr größtes Projekt bis 1990? Die größte Aufgabe, einschließlich der Erarbeitung einer denkmalpflegerischen Zielstellung, war die Sanierung des Schloßparks Siebeneichen und die damit zusammenhängende Durchführung der Parkseminare, die wir vor allem mit ehrenamtlichen Denkmalpflegern und interessierten Bürger abhielten. Ziel des Vorhabens war die Wiederherstellung der historischen Strukturen im Park, beraten wurden wir u.a. vom Chef des Botanischen Gartens in Dresden, der das erste Parkseminar mit organisierte. Danach gab es in Meißen insgesamt mindestens sechs Parkseminare, deren umfangreiche Vorbereitung ich im Rahmen meiner Tätigkeit übernommen hatte. Wie ging es nach 1990 weiter? Nach 1990 wurde aus dem Büro für Stadtplanung das Stadtplanungsamt, seit 1985 geleitet von Stadtarchitekt Dr. Thomas Pohlack, dem späteren Oberbürgermeister. Dadurch wurde das Büro Teil der Stadtverwaltung und es gab auch für uns alle enorm viel zu tun. Im Oktober 1992 legte das Stadtplanungsamt das erste Stadtentwicklungskonzept für Meißen – also den Vorgänger unseres heutigen Integrierten Stadtentwicklungskonzeptes – vor. Die umfangreichen, in den Schränken schummerten Voruntersuchungen, Analysen und Pläne, bildeten die Grundlage für die künftige Bereitstellung der Fördermittel. So wurden schon Anfang Juli 1990 Gerüste angeschafft, die bald darauf den Dom umgaben. Bereits am 26. Juli 1990 beschloss die Meißner Stadtverordnetenversammlung die Erhaltungssatzung für die Altstadt, und für das gleiche Gebiet vorbereitende Untersuchungen zur Einleitung eines Sanierungsverfahrens. Besonders wichtig war unter anderem Anfang der 1990er Jahre für mich auch die Erarbeitung eines gesamtstädtischen Landschaftsplans der Stadt Meißen, der ja die ökologische Grundlage für den Flächennutzungsplan darstellt. Was war ihr größtes Projekt nach 1990? Das war ganz klar die Erstellung des digitalen Flächennutzungsplans und Meißen war damit eine der ersten Städte in Sachsen, die über so etwas verfügten. Angefangen habe ich 1992/93 mit der noch in Tusche ausgeführten Realnutzungskartierung, die dann in einem entsprechenden Computerprogramm Punkt für Punkt von mir digitalisiert und somit zur Grundlage für den Flächennutzungsplan wurde. Der erste Entwurf stand 1995, der zweite 1998, 2006 erfolgte der entsprechende Beschluss des Stadtrates. Verzögerungen gab es durch den damals noch ungewissen Standort der neuen Elbebrücke, erst danach war es überhaupt sinnvoll, einen neuen Flächennutzungsplan aufzustellen. Wie ordnen Sie diese Aufgabe für sich in 40 Jahre Arbeitsleben ein und was hat sich in 40 Jahren für Sie verändert? An diesen Prozessen als Fachfrau teilnehmen zu dürfen, zählt zu den schönsten Erlebnissen meiner 40-jährigen Tätigkeit als Landschaftsarchitektin. Neben der politischen habe ich sozusagen auch die digitale „Wende“ mitgemacht, denn der Computer hat ja eigentlich alle bisherigen Arbeitsmittel ersetzt und wer die Digitalisierung im Planungswesen voranbringen wollte, musste sich eben mit der dazugehörigen neuen Technik befassen. Obwohl ich seit 40 Jahren hier tätig bin, haben sich meine Arbeitsaufgeben häufiger gewandelt als man vielleicht denkt. Zusätzlich zur Aktualisierung und Fortschreibung des Flächennutzungsplans kamen Aufgaben wie die Flächenberechnung für die Abwasserbeiträge hinzu, womit ich mich jahrelang beschäftigt habe. In den letzten Jahren habe ich wieder Objektplanungen übernehmen müssen, damit die Projekte die durch Ausgleichsbeträge aus den Sanierungsgebieten finanziert wurden, auch in kürzester Zeit umgesetzt werden konnten. Und dann waren da auch noch die verschiedenen Hochwasserereignisse. Wie war das? Auch die Hochwasserereignisse 2002, 2006 und 2013 brachten viel Arbeit und viele neue Aufgaben, ebenso die 2014er Schlammflut im Triebischtal. Nachdem wir uns aus der Erfahrung mit den Hochwassern der Bewältigung von Naturereignissen gewachsen fühlten, ergab sich aus der Schlammflut wieder eine neue Herausforderung. Es galt die Hangwälder sowie die ausgeräumten Ackerfluren auf den Hochebenen in und um Korbitz zu überplanen. Wie außergewöhnlich und deshalb anspruchsvoll diese Aufgabe war, zeigt sich daran, dass die Arbeitsergebnisse auch von internationalem Interesse sind. Die Stadt Meißen wirkt seit 2017 im EU-Projekt „Rainman“ mit. Dazu kommt die ganz normale Hochwasserschadenserfassung, Kartierung, Planung und Umsetzung der Hochwasserschadensbeseitigungsmaßnahmen bis hin zur Abrechnung aller betroffenen Grünflächenelemente. Was unterscheidet ihre Arbeitsaufgaben der 1990er im Vergleich zu denen der 2000er Jahre? Generell kann man sagen, dass vor 1990 viel strategisch gearbeitet wurde, da kaum Geld vorhanden war und auf den jeweiligen Zeitpunkt der Umsetzungsmöglichkeit gewartet werden musste. Unter diesen Bedingungen waren zum Beispiel Grünflächenrealisierungen sehr kompliziert, da hat man dann improvisiert und ist mit Hilfe von Ehrenamtlichen die Projekte schrittweise angegangen. Ab 1990 war die Stadtsanierung natürliche die Riesenherausforderung, die man mit der Situation davor gar nicht vergleichen konnte. Im April 1990 hatte ja sogar die letzte DDR-Regierung Meißen noch einen Betrag von 55 Millionen DDR-Mark zu Sanierungszwecken gewährt. Ebenso wie Weimar und Brandenburg galt Meißen seitdem als Modellstadt, das Geld kam über irgendwelche Fonds und nur weil Meißen überhaupt ein funktionierendes Planungsbüro hatte, konnte mit der Sanierung umgehend begonnen werden. Da türmten sich wie von heute auf morgen Berge von Arbeit auf. Neben den vorhandenen Architekten, Verkehrs- und Landschaftsplanern wurden zahlreiche neue Kollegen, darunter auch eine Geografin mit EDV-Kenntnissen, eingestellt. Dieses Wachstum hielt bis ca. 1996 an, danach zerfiel dieses Sachgebiet, es wurden Mitarbeiter in andere Abteilungen umgesetzt, so dass am Ende nur noch zwei Leute für das Fachgebiet Stadtplanung im „Amt für Stadtentwicklung und Wirtschaftsförderung“ übrig waren: ich und meine Kollegin Marina Jach. Die Ursache für diesen Schrumpfungsprozess war die angespannte Haushaltssituation der Stadt, denn bis 2004 hatte man gut 53 Millionen Euro Schulden angehäuft und es musste gespart werden. Inwiefern spielte die neue wirtschaftliche Situation und die damit verbundenen Möglichkeiten eine Rolle? Das alles spielte eine immense Rolle. Unmittelbar ab 1990 begann der Run auf die Gewerbegebiete, entsprechend optimistisch – oder besser euphorisch – ging man die neue Zeit an und die zur Verfügung stehenden Flächen wurden wie gefordert ausgewiesen. Wider Erwarten ging dann doch nicht alles so schnell wie gedacht, der Run ließ rasch nach. Man sieht aber, dass die Nachfrage seit 2000 gestiegen ist und wieder mehr gebaut wird, vor allem im Bereich des Eigenheimbaus. Frau Diersche, sie haben fünf Oberbürgermeister erlebt und in unzähligen Stadtratssitzungen als „Frontfrau“ Beschlussvorlagen erläutert und diese durchgefochten. Was können Sie in Hinblick auf die Zusammenarbeit mit dem Stadtrat im Wandel der Zeit sagen? Bis 1990 hatte ich kaum Kontakt zur damaligen Stadtverordnetenversammlung. Danach waren Auftritte in den Gremien des Stadtrates vor allem Chefsache, als Mitarbeiter hatte man dort eigentlich nichts suchen. Diese Situation hat sich jedoch gewandelt. Grundsätzlich werden jetzt die Mitarbeiter als federführende Fachleute in den Ausschüssen gehört oder stellen die betreuten Projekte vor. Wenn Sie auf 40 Jahre Stadtplanung bzw. 30 Jahre Stadtsanierung zurückblicken, lässt sich dann sagen, dass die Sensibilität der Öffentlichkeit für das Thema Stadtplanung eher gestiegen oder gesunken ist? Auch nach 1990 bestand eigentlich wenig öffentliches Interesse an Stadtplanungsprozessen. Viele mussten ja zunächst ihre eigene Existenz sichern und den erstrebten Platz innerhalb der sich neu formierenden Gesellschaft erst erkämpfen. Der Standort der neuen Elbbrücke war eine größere Sache, sonst waren die Bürger eher zurückhaltend. Seit etwa 2010 hat sich das grundsätzlich geändert, das Interesse an Planungsprozesses ist viel größer, es wird gerne diskutiert, in Planungsunterlagen wird Einsicht genommen, die Informationsveranstaltungen zu Planungsvorhaben sind häufig gut besucht. Worüber haben sie sich rückblickend am meisten gefreut? Für mich war es eine unglaubliche Freude, Teil des Prozesses sein zu dürfen, der Meißen von einem Zustand des latenten Verfalls zum heutigen Entwicklungsstand geführt hat. Ebenso, dass ich dabei auch im fachlichen Sinne Teil dieser neuen Zeit in Bezug auf die Digitalisierung der Planungsarbeit sein konnte. Zusammen mit den Kollegen war es mir somit möglich, den Grundstein für die neue Zeit in Meißen legen zu können, einen Grundstein, ohne den die nachrückende Generation an Stadtplanern und Landschaftsarchitekten viel schwierigere Bedingungen zum Meistern der neuen Herausforderungen vorfinden würde. Worüber haben sie sich rückblickend besonders geärgert? In der Zeit vor 1990 habe ich mich sehr darüber geärgert, dem überall sichtbaren Verfall hilflos gegenüberstehen zu müssen. Nach 1990, oder besser seit dem, ärgere ich mich darüber, dass zu wenig nachgefragt wird, wie und warum bestimmte Planungen und deren Umsetzung so durchgeführt wurden, wie sie eben ausgeführt wurden. Stattdessen werden in der Öffentlichkeit von fachinkompetenter Seite permanent negative Unterstellungen veröffentlicht, die nur dem Ansehen der Stadt schaden, ohne die Dinge wirklich zu hinterfragen. Ich weiß schon gar nicht mehr, wie oft ich und die Kollegen deshalb Bäume zählen mussten. Statt damit die Zeit zu vergeuden, hätte viel mehr effektive Planungsarbeit geleistet werden können. Dem großen Ziel, Meißen grüner zu machen, haben diese überflüssigen Interventionen definitiv nicht nähergebracht. Ganz ähnlich verhält es sich mit der Berichterstattung über stadtplanerische Vorhaben, die immer kritischer wird, ohne zielführende Hinweise zu enthalten. Welche Zukunftswünsche haben Sie für die Stadt Meißen? Grundsätzlich ist Meißen auf gutem Weg. Ich wünsche der Stadt eine ausgewogene Entwicklung, deren Mittelpunkt aus dem Bewahren der historischen Bausubstanz und der landschaftlichen Schönheit bestehen sollte. Gleichzeitig freue mich über die größere Aufmerksamkeit gegenüber ökologischen Belangen, verbunden mit dem Wunsch, diese in einer wachsenden Anzahl von Grünflächen, Bäumen, Spielplätzen usw. widergespiegelt zu sehen. Ihre Nachfolgerin, Bianca Schöne, konnten Sie selbst mit auswählen und einarbeiten. Was wünschen Sie sich für Ihrer Nachfolgerin? Vor allem, dass sie Freude an ihrer Aufgabe findet, denn nur bei Freude an der Arbeit stellt sich auch der gewünschte Erfolg ein. Von Seiten der Öffentlichkeit wünsche ich mir, dass man ihr aufgeschlossen gegenübertritt und ihr einen Vorschuss an Vertrauen aufgrund ihrer Fachkompetenz gewährt. Das Interview führte Dr. Michael Eckardt.