

In der ARD-Serie „Charité“ wurden im Frühjahr berühmte Berliner Ärzte vorgestellt. Es war die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts, als sich mit dem Bau öffentlicher Krankenhäuser, mit Einführung der Hygiene und der Schaffung einer sauberen Wasser- und Abwasserversorgung die gesundheitspolitische Situation grundlegend änderte. Die in der Serie vorgestellten Ärzte, Robert Koch, Emil Behring, Paul Ehrlich, Ernst von Bergmann und Rudolf Virchow, hatten daran überragenden Anteil. Rudolf Virchow, der Anthropologe und Begründer der modernen Pathologie, starb am 5. September 1902, vor 105 Jahren, in Berlin. Mit der Beschreibung der Leukämie und der Theorie der Zellularpathologie erlangte er Weltruhm. Der Hygieniker und Berater der Regierung in Seuchenfragen setzte in Berlin die Kanalisation und die Trinkwasserversorgung durch. Virchow war Mitglied des Berliner Stadtparlaments, des Preußischen Abgeordnetenhauses und später des Reichstages. Als Mitglied der Deutschen Fortschrittspartei und dann der Deutschen Freisinnigen Partei forderte er regelmäßige sportliche Übungen als Vorsorge, kommunale Krankenhäuser, Parks und Spielplätze sowie die Ausbildung von Pflegepersonal. Das Credo des Gesundheitspolitikers lautete: Die Töchter der Freiheit heißen Bildung und Wohlstand! Was hat nun der berühmte Arzt mit Cottbus zu tun? In Cottbus gibt es eine Virchowstraße. Aber die ist eher zufällig zu ihrem Namen gekommen. Als 1946 historisch belastete Straßennamen getilgt werden sollten, stieß man auf die Luisenstraße und dachte an die preußische Königin. Abgesehen davon, dass es Cottbus gut getan hätte, eine Straße mit dem Namen der schönen und klugen mecklenburgischen Prinzessin zu besitzen, traf der Bannstrahl die Falsche. Die Straße war nach der Ehefrau des Amtsrates Hubert benannt, dessen Namen die Parallelstraße trägt. Mit dem Namen Virchow trafen die Namensgeber jedoch eine gute Wahl, mit der wohl die Königin und die Amtsratsgemahlin zufrieden gewesen wären. Ein anderer Grund, sich in Cottbus mit Virchow zu beschäftigen, ist die große Anteilnahme des Cottbuser Anzeigers an einem gesellschaftlichen Ereignis, dass in Deutschland noch vor der Reichsgründung Wellen schlug. Im Preußischen Abgeordnetenhaus waren Virchow und seine Partei nicht bereit, den aufgeblähten Militärhaushalt zu bestätigen. Sie wollten das Geld für den Ausbau des Kieler Kriegshafens lieber in eine Verbesserung der Infrastruktur und in soziale Maßnahmen stecken. Am 2. Juni 1865 kam es zum Eklat. In seiner Rede kritisierte Virchow den preußischen Ministerpräsidenten scharf und warf ihm mangelnde „Wahrhaftigkeit“ vor. Diese Auseinandersetzung im Vorfeld des Preußisch-Österreichischen und des Deutsch-Französischen Krieges führte dann zu einer Duellforderung Bismarcks an den Professor der Friedrich-Wilhelms-Universität. Virchow tat natürlich das, was der fortschrittliche Teil der deutschen Bevölkerung von ihm erwartete. Er lehnte das Duell kategorisch ab. Die Meinungen dazu waren geteilt, aber der Cottbuser Anzeiger stand klar auf der Seite des Arztes. Er berichtete von Virchows Studenten, die sich an Stelle ihres Lehrers mit dem Ministerpräsidenten schlagen wollten: „Nun sei es ihnen ja klar, welchen unersetzlichen Verlust die Wissenschaft und die Nation durch einen unzeitigen Tod Dr. Virchow‘s erleiden würde. Der Gedanke sei ihnen entsetzlich, dass er bei einem Spiel, dass sie selbst wahrscheinlich besser verstünden als ihr berühmter Lehrer, der Welt entrissen werden könnte.“ Rudolf Virchow war jedoch nicht nur Arzt und Gesundheitspolitiker. Mit Cottbus und der Lausitz war der Mediziner auf besondere Weise verbunden. Er hatte seit seiner Jugendzeit eine Vorliebe für das Prähistorische. Als Hobbyarchäologe und Ethnologe weilte der Wissenschaftler häufig mit seinen Studenten zu Ausgrabungen in Cottbus, Zahsow, Burg, Kolkwitz, Vetschau, Werben und Luckau. Er prägte den Begriff der Lausitzer Kultur und unterschied als erster zwischen der slawischen Keramik des Burgwalltyps und bronzezeitlicher Keramik des Lausitzer Typs, was erheblich zur zeitlichen Gliederung der Funde beitrug. Der Cottbuser Bibliothekar und Heimatforscher Helmut Donner schrieb dann auch Virchow die Erkenntnis zu, dass die Funde der Lausitzer Kultur nicht zwingend slawisch sein mussten. „Am Burger Schlossberg fand er nämlich auch vorgermanische Siedlungen.“ Und weiter: „Aber ihn interessierten auch die Menschen, die zu seiner Zeit noch in der Lausitz lebten, die Wenden. So beschrieb er 1875 nach einer Exkursion in Zahsow die ‚Trachten der Weiber‘ und das wendische kirchliche Leben“. Heute ist der Mediziner, Gesundheitspolitiker und Parlamentarier Rudolf Virchow ein hervorragendes Beispiel dafür, dass es in der kleinen und großen Politik kaum etwas Alternativloses gibt. Er setzte der Bismarck'schen Politik von „Blut und Eisen“ seinen Traum von Freiheit, Wohlstand und Bildung entgegen. Die Mehrheit der Cottbuser stand damals wohl auf seiner Seite.