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Zeitung: »Schwere Blutopfer in den Straßen von Cottbus«

- Vor 100 Jahren -
Schüsse am Spremberger Turm. Illustration aus: Die Niederlausitz griff zur Waffe, Berlin 1957

Schüsse am Spremberger Turm. Illustration aus: Die Niederlausitz griff zur Waffe, Berlin 1957

 Am Abend des 16. März 1920 versuchte eine Reichswehrpatrouille am Spremberger Turm eine Proklamation gegen den Generalstreik anzubringen. Die Truppe wurde von aufgebrachten Cottbusern entwaffnet. Die Märkische Volksstimme berichtete: »Nach ungefähr einer halben Stunde erschien ein Zug von ca. 50 Reichswehrsoldaten unter Führung eines jungen Offiziers mit vier Maschinengewehren. Die schweren MG wurden auf dem Kaiser-Wilhelm-Platz (Brandenburger Platz) in Stellung gebracht. Der Leutnant gab den Befehl, die Straße frei zu machen. Kurze Zeit darauf tackten schon die Maschinengewehre. Ungeheuerlich erscheint die Tatsache, dass es möglich sein sollte, nach so kurzer Zeit einen der am stärksten von friedlichen Menschen, darunter Kindern, belebten Stadtteil zu räumen. Die Passanten waren noch am Spremberger Turm am Flüchten, da fielen schon die ersten Opfer mit Kopf- und Bauchschüssen auf das Straßenpflaster.« Auch in anderen Städten der jungen Republik gab es im März vor hundert Jahren blutige Straßenkämpfe.

Was war geschehen? Auf der Grundlage der bis dahin freiheitlichsten Verfassung in der deutschen Geschichte regierte in Berlin seit Sommer 1919 der sozialdemokratische Reichskanzler Gustav Bauer.  Er setzte wichtige Reformschritte zur Stärkung der Demokratie und der Zentralgewalt durch. Seine Forderung, gegen die antidemokratische Gesinnung großer Teile des Offizierscorps vorzugehen, wurde von Reichswehrminister Gustav Noske (SPD) jedoch torpediert.

Putsch monarchistischer Militärs

Monarchistische Militärs versuchten Mitte März 1920, die rechtmäßige Regierung zu stürzen. Damit wollten sie auch der im Versailler Vertrag festgelegten Reduzierung des Heeres zuvorkommen. Unter Führung von General Walther von Lüttwitz und Landschaftsdirektor Wolfgang Kapp besetzten die Putschisten das Berliner Regierungsviertel. Die in der Hauptstadt stationierten Reichswehreinheiten gingen gegen die Putschisten nicht vor. Die Reichsregierung floh über Dresden nach Stuttgart.  Gewerkschaften, Reichspräsident und die sozialdemokratischen Kabinettsmitglieder riefen zum Generalstreik auf. Nach wenigen Tagen brach der Kapp-Putsch zusammen. Unmittelbar nach Bekanntwerden des Umsturzversuches fasste ein Aktionsausschuss von SPD, USPD, KPD und Gewerkschaften in Cottbus den Beschluss zum Generalstreik »auf der ganzen Linie« bis zum Putschende.

In der Alvensleben-Kaserne war das Bataillon Franz stationiert. Es gehörte zu den nach dem Versailler Vertrag aufzulösenden Einheiten. Der Kommandeur Bruno Buckrucker schlug sich auf die Seite der Putschisten und übernahm in der Stadt die »vollziehende Gewalt«. Er gab den Schießbefehl am Spremberger Turm. Die Nachricht von diesem Blutvergießen verbreitete sich rasch in der Niederlausitz. Aus den benachbarten Städten kamen bewaffnete Arbeiter nach Cottbus. In heftigen Feuergefechten in Sachsendorf, Sandow und um den Bahnhof, auch mit schweren Waffen, kam es auf beiden Seiten zu weiteren Verlusten. In Willmersdorf griffen Arbeiter erfolglos einen Panzerzug an.

Zwei Zeitungen, der Oberbürgermeister und ein Putschist

Eine ausgehandelte Waffenruhe akzeptierten die sich radikalisierenden Führer der »Roten Armee« nicht. Erst nach dem Zusammenbruch des Putsches in Berlin stellten beide Seiten die Kämpfe ein. Der Cottbuser Anzeiger veröffentlichte am 21. März 1920 ein Telegramm des Regierungspräsidenten an OB Dreifert: »Die verfassungsmäßige Reichsregierung Bauer übt allein die Staatsgewalt aus; jeder Streikgrund ist fortgefallen.«
Die Märkische Volksstimme stand vom ersten Tag an auf der Seite der streikenden Arbeiter und des Aktionsausschusses. Das Blatt wurde von Buchrucker »bis auf weiteres geschlossen«. Der Cottbuser Anzeiger sympathisierte zunächst mit den Putschisten, gab diese Haltung nach dem Blutbad jedoch auf. 

Von Hugo Dreifert, dem Cottbuser Oberbürgermeister, liest man in diesen Tagen fast nichts in den beiden Zeitungen. Aber es deutet doch vieles darauf hin, dass der Verwaltungschef hinter verschlossenen Türen mäßigend auf beide Seiten einwirkte und maßgeblich daran beteiligt war, Ruhe und

Ordnung wieder herzustellen. Und Buchrucker? Der wurde nach dem Putsch zwar aus der Reichswehr zunächst entlassen, arbeitete aber später für die Schwarze Reichswehr und organisierte einen zweiten Putsch. In Westdeutschland schrieb der Ex-Major seine Memoiren und starb hochbetagt 1966 in Bad Godesberg.


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