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Mut, Kerzen und Transparente

- Vor 30 Jahren -
Die erste Cottbuser Demonstration - Am 30. Oktober auf dem Stadthallenvorplatz. Foto: Erich Schutt

Die erste Cottbuser Demonstration - Am 30. Oktober auf dem Stadthallenvorplatz. Foto: Erich Schutt

Als Mitte Oktober in Leipzig, Dresden und Plauen die Menschen massenhaft auf den Straßen nach Reise- und Pressefreiheit riefen, blieb es in Cottbus zunächst ruhig. Dann aber brachten zwei große Demonstrationen, am 30. Oktober und am 6. November, das gesamte Machtgefüge des Kohle- und Energiebezirks zum Einsturz. Dass die Cottbuser später auf die Straße gingen, hat mit der besonderen Situation im Revier, aber sicher auch mit dem bedächtigen Lausitzer Naturell zu tun. Damals sagten Gerüchte, dass Autos mit dem Kennzeichen Z für Cottbus in der Leipziger Gegend an Tankstellen der Sprit verweigert wurde. Man solle in Cottbus eine ordentliche Demo auf die Beine stellen und nicht in der DDR herumfahren. Aber anders als in Berlin, Leipzig und Dresden gab es in der Niederlausitz keine westlichen Korrespondenten, die einen gewissen Schutz boten. Auch war hier das Kontrollsystem der Sicherheitsorgane schier erdrückend.
Bei der Erinnerung an die Woche vom 30. Oktober bis zum 6. November fällt noch eine weitere Besonderheit auf, an die Demonstranten unserer Tage denken sollten. Die Kundgebungen fanden abends, also nach Schulschluss bzw. Feierabend statt. Sie waren vollständig gewaltfrei, ohne Nötigungen durch Blockaden und Besetzungen. Niemand kettete sich irgendwo an oder kletterte auf Fassaden oder Industrieanlagen. Zur Ausrüstung gehörten Mut, Kerzen und Transparente.

Auf dem Stadthallenvorplatz

Der Demonstrationszug führte am 30. Oktober vom Theater durch die Bahnhofstraße. Auf dem Stadthallenvorplatz fand dann auf einem improvisierten Podium eine erregte Diskussion statt. Dazu mussten die Funktionäre zunächst von ihren »Dialogrunden« geholt werden. Mit Pfiffen und Buhrufen, erstmalig mit einem Kreuzfeuer der Kritik konfrontiert, gaben Werner Walde, Bezirksratsstellvertreter Otto Wendt und OB Müller keine gute Figur ab. Die aufgebrachte Menge klagte über »Bürokratismus, Herzlosigkeit im Umgang mit Bürgern, fehlenden Umweltschutz, dogmatische Bildungspolitik, Ämterhäufung, ungerechte Privilegien, schlechte Lohn- und Rentenpolitik, großen Verwaltungsaufwand, über die führende Rolle der SED und die schlechte Versorgungs- und Energiepolitik.«
An diesem Abend vollzog sich vor der Stadthalle die Demontage von Mächtigen, denen man kurz zuvor noch zuwinken musste. Das blieb auch nicht ohne Wirkung auf die Medien. Am nächsten Tag berichtete die Lausitzer Rundschau erstaunlich realistisch über das Geschehen im Cottbuser Stadtzentrum. Der Beitrag »Willen zur Erneuerung bekundet« schilderte das Ereignis mit allen Diskussionsthemen und brachte ansatzweise auch das hilflose Auftreten der Funktionäre zum Ausdruck. Auf die war die Wirkung desillusionierend. Mit einem Anflug von Realismus und Selbstkritik sagte Walde in Auswertung der ersten Demonstration: »Ich trage die Verantwortung. Es zerreißt mich fast. Ich will mich nicht davon schleichen. Aber ich klebe auch nicht an der Funktion.« Nur wenige Tage nach dem 6. Oktober trat Walde zuerst als SED-Bezirkschef und dann als Politbürokandidat zurück.

Endlich Leben im Stadtparlament

Im Haus der Bauarbeiter war auf einer Sondersitzung der Stadtverordneten zu spüren, wie sehr die erste Cottbuser Demonstration das politische Klima der Bezirksstadt verändert hatte. Von der Beratung am 2. November existiert kein Protokoll. Aber ganz offensichtlich wurden keine Referate und Diskussionsbeiträge mehr vom Blatt abgelesen. Die Abgeordneten klagten darüber, dass sie in der Vergangenheit Beschlüsse nur »abzusegnen« hatten. Sie forderten realistische Umweltdaten, diskutierten über den Abriss von Häusern, mangelnde Dienstleistungen und die mögliche Absage der 1990 in Cottbus geplanten Arbeiterfestspiele. Höhepunkt der Beratung war der Auftritt von Dr. Peter Model von der Cottbuser Umweltgruppe, der die Ergebnisse der Überprüfung der Wahlen vom Mai darlegte und damit die Legitimität der Stadtverordnetenversammlung in Zweifel zog.
Doch noch einmal zurück zum 30. Oktober. Dieser Tag gehört sicher zu den wichtigsten in jenem Wendeherbst. Die Welle der Proteste erfasst nun auch die kleineren Städte. Überall forderten die Menschen demokratische Rechte, Presse- und Reisefreiheit sowie freie Wahlen. Die Aktuelle Kamera war erstmals mit einer Live-Schaltung bei der Leipziger Demonstration mit 250?000 Teilnehmern. Karl-Eduard von Schnitzler meldet sich und den »Schwarzen Kanal« in den Ruhestand ab. Dass bis zur Öffnung der Grenze nur noch zehn Tage vergehen sollten, ahnten aber die Wenigsten.


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