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Notzeit in Cottbus – Ein Brot kostet 15 Millionen Mark

Cottbuser Notgeld aus dem Jahr 1923, Städtische Sammlungen Cottbus

Cottbuser Notgeld aus dem Jahr 1923, Städtische Sammlungen Cottbus

Im Jahr 1923 verschlechterte sich die wirtschaftliche Situation in der von der Kriegsniederlage gezeichneten Weimarer Republik. Wegen der schleppenden Reparationszahlungen besetzten Franzosen und Belgier im Januar das Ruhrgebiet. Die sogenannte Ruhrbesetzung verstärkte bei vielen Deutschen das Gefühl, dass der Versailler Vertrag ungerecht sei. Dazu kam eine Geldentwertung, wie es sie in Europa nie gegeben hatte. Deutschlandweite Streiks und der Ausnahmezustand der Regierung des Kanzlers Kuno waren Zeichen der Radikalisierung. Für die Cottbuser Bevölkerung war die Hyperinflation sicherlich das größte Problem. Von der Geldentwertung, also der sinkenden Kaufkraft, waren die Lohnempfänger und Rentner natürlich stärker betroffen als Immobilienbesitzer und Unternehmer mit Produktionsmitteln. Der Cottbuser Anzeiger veröffentlichte in jeder Ausgabe den jeweiligen Dollarkurs. Am 27. Juni 1923, vor 95 Jahren, ist ein Dollar „ohne ersichtlichen Grund“ auf 152.617 Mark gestiegen. Das ging rasant weiter: 17. Juli: 218.545 Mark, 21. August: 5.513.750 Mark, 7. September: 53.132.500 Mark. Am 19. September musste man 182.455.000 Mark für einen Dollar hinlegen. Im Oktober stellte das Blatt konsterniert fest, dass „die deutsche Papiermark damit unter den russischen Sowjetrubel gesunken“ sei. Am Cottbuser Anzeiger ging die Inflation auch nicht vorbei. Er kostet inzwischen sechs Millionen pro Woche. Und: „Um die Freude der Bevölkerung vollkommen zu machen erhöht der (Cottbuser) Magistrat vom 26.9. ab die Preise für Strom auf 43.500.000, für Gas auf 18.600.000, für Wasser auf 13.000.000 und für Koks auf 130.000.000 Mark.“ Die Armen waren vom Brotpreis besonders betroffen. Aus der „Geschichte der Stadt Cottbus“ erfahren wir: „Ab Juli 1923 veränderte sich der Brotpreis ständig. Am 23. Juli zahlte der Cottbuser für ein Brot mit einem Gewicht von 1900 Gramm 9.000 Mark. Das gleiche Brot kostete am 13. August 28.400 Mark, ... und am 5. Oktober 15.250.000 Mark.“ Ähnlich sah es mit den Fahrscheinen für die Straßenbahn aus. Im Februar 1923 war man bei 100 Mark pro Fahrt. Dann wurde der Verkehr eingestellt. Auch in Cottbus hatte der Magistrat versucht, mit Hilfe von Notgeld der Inflation Herr zu werden. Mit Einsetzen der Hyperinflation war das allerdings sinnlos geworden. Die Arbeitslöhne mussten immer kurzfristiger ausgezahlt werden. Über eine Anfrage der SPD in der Cottbuser Stadtverordnetenversammlung Anfang August berichtete die Märkische Volksstimme. „Ist dem Magistrat die katastrophale Fettmittel-, Kartoffel-, Fleisch- und Kohlennot bekannt? Und welche Schritte hat der Magistrat unternommen oder denkt er zu unternehmen, um die Not zu lindern?“ Die Ursachen waren eigentlich klar: „Die Flucht in die Sachwerte veranlasst unsere mit Papiergeld vollgesogenen Agrarier, fast nichts mehr zu verkaufen.“ Und: „Geht es nur kurze Zeit so weiter, dann entwickeln sich die Dinge zum Bürgerkrieg!“ Die Einführung der Rentenmark beendete die Inflation. Allerdings waren die wirtschaftlichen und sozialen Verwerfungen in der Niederlausitz vergleichsweise geringer als in anderen Regionen. Einer der Gründe dafür war die positive Entwicklung von Kohle und Energie. Gerade in jene Krisenjahre fallen wichtige Schritte der Mechanisierung der Tagebaue, eine Zunahme der Stromherstellung und die Entwicklung der Brikettfabriken. Die Braunkohle war also schon damals ein Rückgrat für die Lausitz. Die Menschen wissen, was sie dieser Kohle zu danken haben. Sie wissen natürlich auch, dass die Energiegewinnung aus fossilen Brennstoffen bald durch neue Technologien abgelöst wird. Aber die Wähler in der Niederlausitz haben in den letzten Jahren mehrheitlich für jene politischen Kräfte gestimmt, die diesen Übergang mit Augenmaß, ohne Panik und Hysterie vollziehen wollen. Sie erwarten, dass bei allen Diskussionen die Arbeitsplätze und die Verhinderung von Notzeiten wie 1923 im Mittelpunkt stehen. Dass es Streit um den richtigen Weg zur Energie der Zukunft gibt, ist normal. Wenig Verständnis haben die Cottbuser jedoch für süddeutsche Baum-, Gleis- und Eimerkettenbaggerbesetzer. Sie erhalten nämlich am Monatsende keinen Scheck vom Papa und wollen keineswegs auf Sozialleistungen angewiesen sein. Verärgert sind sie über Journalisten, die ihre Arbeitsstätten als „Dreckschleudern“ bezeichnen. Hier im Lausitzer Revier mühten sich Generationen von Berg- und Energiearbeiter in guten wie in schlechten Tagen um Licht und Wärme. Auf ihre Lebensleistungen können sie stolz sein.


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