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Mit dem Sputnik-Verbot läutet die SED-Führung ihr Ende ein

- Vor 30 Jahren -
Lausitzer Rundschau vom 19. November 1988, S. 2.

Lausitzer Rundschau vom 19. November 1988, S. 2.

Ende 1989 erschien in der DDR ein Sonderheft der sowjetischen Zeitschrift Sputnik. Die Redaktion schrieb im Vorwort: „Das vorliegende Sonderheft, das die nach Auffas­sung des Redaktionskollegiums besten Beiträge aus den von Oktober 1988 bis Oktober 1989 erschienenen Ausgaben enthält, ist in erster Linie für diejenigen Leser des deutschsprachigen Sputniks bestimmt, denen es nicht möglich war, in diesem Zeitraum unsere Zeitschrift regelmäßig zu lesen.“ „Diejenigen Le­ser des deutschsprachigen Sputniks“ waren die DDR-Abonnenten des Maga­zins aus dem „Freundesland“. Man erinnere sich: Der Sputnik er­schien seit 1967 als publizistischer Botschafter der Sowjetunion. Auf Hochglanzpapier in Finnland gedruckt, richtete sich das Monatsheft an Leser im westlichen und im sozialistischen Ausland. Deshalb vermied die Redakti­on auch jede übertriebene Propaganda. Nun waren sowjetische Zeitschriften in den Siebzigern nicht gerade die Renner des Postzeitungsvertriebes. Im Gegen­teil: Die Neue Zeit, das Krokodil oder die Sowjetfrau waren eher La­denhüter. Nicht der beliebte Sputnik, er hatte schon lange vor Glasnost und Perestroika seine Abonnenten. … von der Postzeitungsliste gestrichen Am 19. November 1988, vor 30 Jahren, erschien in der Lausitzer Rundschau und in allen DDR-Tageszeitungen, gleichlautend und auf Seite zwei unten die folgende knappe Mitteilung: „Wie die Pressestelle des Ministeriums für Post- und Fernmeldewesen mitteilt, ist die Zeitschrift ›Sputnik‹ von der Postzeitungsliste gestrichen worden. Sie bringt keinen Beitrag, der der Festi­gung der deutsch-sowjetischen Freund­schaft dient, statt dessen verzerrende Beiträge zur Geschichte.“ Das ganze Ausmaß dieser dürren Mitteilung versteht nur, wer weiß, wie kriecherisch sich die DDR-Führung bis Mitte der Achtziger gegenüber dem „Großen Bruder“ verhielt. „Von der Sowjetunion lernen, heißt siegen lernen“ war drei Jahrzehnte Staats­doktrin. Von der Mais-Kampagne über den brutalen Wehrdienst bis zum Afghanistan-Krieg wurde nachgeahmt, totgeschwiegen oder befürwortet. Die Tatsache, dass die Sowjetunion in der Breschnew-Zeit in eine Periode der wirtschaftlichen und kulturellen Stagnation geriet, wurde in der DDR vollständig ignoriert. Als der Reformer Gorbatschow dann zu Offenheit und Umbau aufrief, die Alleinherrschaft der Partei in Frage stellte und Wahlen mit mehreren Kandidaten anregte, endete die bedingungslose Gefolgschaft. Man ging auf Distanz. Die neue Losung hieß nun: „Sozialismus in den Farben der DDR“. Der Sputnik jedoch brachte ab 1987 zunehmend Beiträge, die sich mit der sowjetischen Geschichte nicht nur kritisch auseinandersetzten. Nein, hier wurde das Allerheiligste angetastet. Ende der Dreißigerjahre soll der Große Terror Millionen zu Zwangsarbeit nach Sibirien geführt haben. Vor dem Nazi-Überfall war die Rote Armee enthaup­tet. Der Psychopath Stalin entfesselte einen beispiellosen Personenkult. Darüber berichtete der Sputnik. In der DDR galt allerdings immer noch folgende Einschätzung zu Stalin und dem Stalinismus: „Die Verstöße gegen die sozialistische Gesetzlichkeit und die massenhaften Repressalien fügten der Kommunistischen Partei und dem sozialistischen Aufbau ernsten Scha­den zu. Doch konnten diese anomalen Erscheinungen den Charakter und die Natur der sozialistischen Gesellschafts­ordnung nicht verändert.“ Geheimes Zusatzprotokoll Bevor dann der Sputnik den Wortlaut des Geheimen Zusatzprotokolls zum Hitler-Stalin-Pakt veröffentlichte, kam das Verbot, als „Streichung von der Postzeitungsliste“ umschrieben. Die Reaktion war in Cottbuser Be­trieben und Schulen unerwartet stark. Diesmal erregte sich nicht nur der normale Bürger. Bei der Kreisleitung gingen Berichte über zunehmende Kritik innerhalb der SED-Grundorganisationen ein. Die Entwicklung in der Sowjetunion wurde nämlich von den Menschen, auch den Parteimitgliedern, nicht nur wohlwollend, sondern hoff­nungsvoll begleitet. Nun, so erwar­tete man, wenn es in der UdSSR zu einem demokratischen Sozialismus käme, könne sich auch die orthodo­xe DDR-Führung nicht ausschließen. Das Sputnik-Verbot traf eine ohne­hin durch Friedensgebete in Leipzig, die Arbeit der Umweltbibliothek in Berlin und die Ausbürgerungen nach der Liebknecht-Luxemburg-Demo erregte Gesellschaft. Ein el­lenlanger ND-Artikel „Gegen die Entstellung der historischen Wahr­heit“, in der LR nachgedruckt, konn­te die Empörung nicht einfangen. Danach schwieg die Führung zum Sputnik. Die letzte Periode der DDR, die Periode der Sprachlosigkeit begann. 


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