

Auf dem VIII. Parteitag der SED 1971 wurde nicht nur der personelle Wechsel von Ulbricht zu Honecker abgeschlossen. Die Delegierten bestätigten die Generallinie des neuen Mannes, die als sogenannte Hauptaufgabe die Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik bestimmte. Das bedeutete eine Abkehr von solchen nebulösen Sprüchen wie "Überholen ohne einzuholen" oder von einer fernen kommunistischen Zukunft im Überfluss. Honeckers Linie bestand in der spürbaren Hebung des materiellen und kulturellen Lebensniveaus in der Gegenwart oder doch zumindest in einer überschaubaren Zukunft. In Anbetracht des benachbarten kapitalistischen Wirtschaftswunderlandes konnte es auch keine andere Orientierung geben. Die Menschen in der DDR verglichen ihren Lebensstandard ausschließlich mit Westdeutschland, und da sah es hier bei Arbeitszeit, Versorgung mit Konsumgütern, Urlaub und Lohn nicht so gut aus. Das soziale Hauptproblem war der Mangel an Wohnungen. Ein großangelegtes Wohnungsbauprogramm war dann auch das Kernstück von Honeckers Sozialpolitik. Die Zielstellung lautete, jedem Bürger des Landes bis 1990 eine ordentliche Wohnung zu geben. Warm, trocken und sicher; das waren die Grundforderungen. Dazu mussten 3,5 Millionen Wohnungen neu gebaut oder modernisiert werden. Bis zu dieser Zahl kam es nicht. Aber am 12. Oktober 1988, vor 30 Jahren, übergab der Generalsekretär in Berlin-Hohenschönhausen die dreimillionste Wohnung. Gezählt wurde seit Honeckers Machtantritt. „Ihm galten herzlicher Beifall und Hochrufe, vielfache Bekundungen der Zuneigung und Verbundenheit.“ Wohnungsbau in Cottbus Noch schneller als im DDR-Durchschnitt wuchs der Bestand an Neubauwohnungen in Cottbus. Hier bezog eine Familie 1988 in der Hubertstraße die „45 000. neugebaute bzw. modernisierte Wohnung“. Die angegebenen Zahlen sind unscharf. Zunächst wurden für Propagandazwecke nur Neubauwohnungen erfasst. Als in den Achtzigern zaghaft die Modernisierung von Altbauten ausgedehnt wurde, gab es neue Werte. Vor 1971 waren in Cottbus und in den anderen Bezirksstädten die größten Kriegsschäden beseitigt worden und »sozialistische Stadtzentren« entstanden. In den Fünfzigern baute man z. B. in der Finsterwalder Straße noch großzügig nach dem Motto „Für unsere Arbeiter ist das Beste gerade gut genug!“ Die Küchen hatten Fenster, Bad und Toilette waren getrennt. In dem Wohnkomplex Bautzener Straße-Ottilienstraße ging es bei den Grundrissen schon spartanischer zu. Richtig geklotzt beim Wohnungsbau wurde dann in Sandow (Mitte der Sechziger) und in Ströbitz (ab 1972). Dort und ab 1975 in Madlow/Sachsendorf entstanden in industrieller Bauweise die Wohnungen des Typs P 2 mit innen liegendem, komplett vormontiertem Bad. Der DDR-Wohnungsbau endete in Cottbus im Wendischen Viertel und in Schmellwitz. Die typische Dreiraumwohnung war klein, ihr Umfeld sah in Cottbus, Halle/Neustadt und Wladiwostok ähnlich aus. Sie kostete 77 Mark. Auch bei großzügiger Umrechnung zum Euro bekäme man dafür heute keinen Stellplatz in der Tiefgarage unter der Spreegalerie. Wer wohnte wo? Die Nachteile des industriellen Wohnungsbaus traten auch in Cottbus rasch zu Tage. Die Altbausubstanz verfiel. In den ehemals schönen, nun aber verfallenden Jugendstilhäusern und den klassizistischen Gebäuden in der westlichen Stadterweiterung und um die Friedrich-Ebert-Straße wollte man nicht wohnen. Auch bei den schon errichteten Neubauwohnungen stand die Erhaltung an zweiter Stelle. Ebenso offensichtlich ist der Vorzug. Die Vermischung der sozialen Gruppen verhinderte Ghettobildung. In den Plattenbausiedlungen lebten die unterschiedlichsten Berufsgruppen und Qualifikationsstufen zusammen. Einfamilienhäuser waren recht selten. Sie gehörten in Cottbus Handwerkern und kinderreichen Familien. Wenige Sonderbauten zur Ansiedlung von Ärzten, Wissenschaftlern und Künstlern entstanden in Richtung Madlow. Die Parteispitzen des Bezirks hatten neben der Plattenbauwohnung bescheidene Bungalows und der Ratsvorsitzenden stand ein Appartement in der Burger Bleiche zur Verfügung. Das Wort „Lage“ gab es schon. Die Sandower glaubten wohl, besser zu wohnen als die Schmellwitzer. Und wenn höchste Träume in Erfüllung gehen sollten, dann war es die Würfelhauswohnung in der Randbebauung. Dazu brauchte der brave Cottbuser aber dann einige Beziehungen. Allgemein galt jedoch: Der Generaldirektor wohnte in Cottbus neben dem Hilfsarbeiter. Soziale Brennpunkte waren Sachsendorf und Schmellwitz in der DDR nicht. Neue Wohnungsnot Der DDR-Wohnungsbau ist Geschichte. Was folgte, hieß euphemistisch Rückbau. Fast drei Jahrzehnte fielen dann Politiker und Journalisten über das industrielle Bauen in der DDR her. „Plattenbau“ war eines der hässlichen Worte, mit denen gegenüber dem verblichenen Staat herabsetzend nachgetreten wurde. Die Großsiedlungen wurden für alles Mögliche verantwortlich gemacht, einschließlich rechter Tendenzen im Osten. Um solche Töne ist es in den letzten Monaten, in denen in der vermeintlich reichen Bundesrepublik akute Wohnungsnot immer offensichtlicher wurde, erheblich stiller geworden.