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Das Jahr 1988 – Pankow, Springsteen und Sandow

- Vor 30 Jahren -
Eintrittskarte für das Springsteen-Konzert am 19. Juli 1988. Foto: privat

Eintrittskarte für das Springsteen-Konzert am 19. Juli 1988. Foto: privat

Das Wetter war im Sommer 1988 nicht überragend. Am 19. Juli prognostizierte die Lausitzer Rundschau: »... teil­weise stark bewölkt, gelegentlich schauerartiger Niederschlag.« Die Cottbuser machten sich trotzdem auf in den Urlaub: Camping oder Ferienplatz an der Ostsee, Balaton oder Jalta für die Betuchteren und natürlich Balkon und Kleingarten zu Hause. Die Kinder fuhren in Betriebs- oder Pionierferienlager, zum Pinnower See oder nach Bollmannsruh. Einige Auserwählte reisten gar mit dem Traumschiff nach Kuba. Energie meldete sich wieder in der höchsten Spielklasse zurück. Im Westfernsehen, das in den Cottbu­ser Neubaugebieten inzwischen über Kabel ins Haus geliefert wurde, lief »Alf«, der Außerirdische. Die anspruchs­vollen Literaturverfilmungen des DDR-Fernsehens hatten es dagegen schwer. Verwunderung gab es über die Nichtauf­führung sowjetischer Filme. Schauspie­ler des Theaters protestierten deshalb bei Werner Walde, dem 1. Sekretär der Bezirksleitung. Der Spruch: »Von der So­wjetunion lernen, heißt siegen lernen.« wurde immer häufiger zitiert. Sowjetische Zeitschriften wie Nowoje Wremja, Sowjetlite­ratur und Sputnik, ehedem Ladenhüter, entwickelten sich zu Bestsellern. Die SED-Führung wollte jedoch von Glasnost nichts hören. Aber gerade wegen der fehlenden Trans­parenz wuchsen die Zweifel an den monatlichen Erfolgsmeldungen. Die Widersprüche zwischen dem täglichen Erleben und den offiziellen Nachrichten, Statistiken, Umfrageergebnissen und Studien wurden immer offensichtlicher. Der 1-Megabit-Chip und die Karl-May-Edition konnten daran nichts mehr ändern. Die offiziösen Behauptungen, dass ständig alles besser wird (oder die Kriminalität sinkt), bestätigten die All­tagserfahrung eben nicht. Im Bereich der Jugendkultur kündigten sich die Veränderungen am spürbarsten an. Die Gruppe Pankow war 1988 deut­lich geworden: »Dasselbe Land zu lange gesehen / dieselbe Sprache zu lange ge­hört / zu lange gewartet, zu lange gehofft / zu lange die alten Männer verehrt ...« Die Kulturpolitik war geprägt von dem Widerspruch, den Wünschen der Partei- und Staatsführung gerecht zu werden, aber auch jugendliche Kreativität und Eigendynamik auszuhalten. Und gera­de das konnten die alten Männer nur schwer ertragen. Auch in Cottbus hatte sich in der zwei­ten Hälfte der 1980er Jahre eine beacht­liche alternative Szene gebildet: Es gab Bluesfans; eine besondere Rolle spielten die Jazzfreunde, die »Peitzer Szene«, aber auch Hippies, Punks und Skinheads waren im Stadtbild zu sehen. Einerseits drückten die Jugendlichen hier den Generationskonflikt aus, andererseits suchten sie damit Rückzugsgebiete und selbstbestimmte Lebensformen. Ein Ereignis sollte in diesem Sommer im Bereich der Jugendkultur für beson­dere Furore sorgen: Bruce Springsteen auf der Radrennbahn Berlin-Weißensee. Das ND kündigte den US-Sänger so an: »Der 5. Rocksommer der FDJ unter dem Motto ›Nikaragua im Herzen‹ be­ginnt am heutigen Dienstag mit einem vierstündigen Konzert des Rockstars Bruce Springsteen aus den USA. Wäh­rend dieser Großveranstaltung auf den Sportstätten an der Radrennbahn Berlin-Weißensee und den folgenden Konzerten auf der Insel der Jugend in Berlin-Treptow wollen die FDJler ihre Solidarität mit dem nikaraguanischen Volk bekunden.« Die umfangreichen Verkehrshinweise erwiesen sich als völlig berechtigt. Die offizielle Teilneh­merzahl von 160 000 wurde vermutlich weit überschritten. Soli-Transparente ließ der Sänger entfernen. Dafür schnitt das DDR-Fernsehen bei der zeitversetzten Übertragung Springsteens Hoffnung, dass »eines Tages alle Barrieren umge­rissen« werden, heraus. Im Gegensatz zum Zentralorgan hielt sich die Lausitzer Rundschau bei der Berichterstattung zum Springsteen-Konzert zurück. Immerhin: »Aus allen Teilen der DDR waren Rock-Anhänger an die Radrennbahn Weißensee gekom­men, um ihren Star live zu erleben.« Und trotzdem fand das Konzert in Cottbus ei­ne besondere Resonanz. Für die Gruppe Sandow war der Springsteen-Titel »Born in the USA« und die mitsingenden FDJ­ler Inspiration für ein populäres Lied. Kai Kohlschmidts Band sang: »Wir bauen auf und tapezieren nicht mit / Wir sind sehr stolz auf Katarina Witt / Born in the GDR / Wir können bis an unsere Gren­zen geh‘n / Hast du schon mal drüber hinweg geseh‘n / Ich habe 160 000 Men­schen geseh‘n / Die sangen so schön, die sangen so schön ...« »Born in the G.D.R« wird heute zu den 100 wichtigsten Polit­songs gerechnet.


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