

Im Jahr 1957 wurden im ehemaligen Bezirk Cottbus zwei Stücke aufgeführt, die beide von Hermann von Pückler-Muskau handelten. Das erste war ein Singspiel mit dem Titel „Das grüne Herz der Lausitz« und stammte von einem Muskauer Autorenkollektiv. Das zweite Stück hieß „Wo steht Pückler? Wo stehst Du?“. Aufgeführt wurde es in Redaktionsstuben, Parteiversammlungen, Leserbriefen und Stellungnahmen. Offen blieb, ob es eine Tragödie oder eher eine Posse war. Eine Provinzposse war es jedenfalls nicht, denn auch die Kulturredaktion des Neuen Deutschland (Organ des Zentralkomitees) griff in die Handlung ein. Der Fürst war in beiden Stücken allgegenwärtig. Im Singspiel gibt es den Muskauer Bürgermeister, Einwohner, Badegäste und jede Menge jubelnde Kinder. In der folgenden, sagen wir Tragikomödie, spielt neben Pückler der Cottbuser Stadtarchivar W., der „Genossen K.“ vom Rat des Bezirkes und der „Genossen S.“ als Chef des Autorenkollektivs eine Rolle. Die Handlung beginnt damit, dass die Verfasser des „Grünen Herzens“ ihr Manuskript pflichtgemäß zur Überprüfung bei der Kulturabteilung des Rates des Bezirkes einreichten. Das Stück bekommt erste Dramatik, weil der „Genosse K.“ behauptete, das Stück gelesen zu haben und es so schlecht zu finden, dass sich jede Antwort erübrige. Seine Gegner allerdings warfen ihm vor, es gar nicht gelesen zu haben. Wie auch immer, in Bad Muskau deutet man das Schweigen vom Cottbuser Neumarkt positiv, studiert das „Grüne Herz“ ein und führt es im Park auf. Jetzt kommt der positive Held ins Spiel. Wenn dem parteilosen Archivar, dem „bürgerlichen Wissenschaftler W.“, der wohl eine Aufführung erlebte, nun der „Kragen platzt“ und „er nach all der Fürstenverherrlichung endlich einmal darlegt, dass Pückler ein Bauernschinder war, ist und bleibt, so hat er tausendmal recht.“ Das ND eröffnet den zweiten Akt mit der scheinbar sprachlosen Feststellung: „Sechsmal ging „Das grüne Herz der Lausitz« im Muskauer Park über die Bretter. Tausende von Zuschauern mussten eine Fürstenverherrlichung über sich ergehen lassen, die sich fortschrittliche Bürger schon zu Lebzeiten Pücklers verbeten hätten.“ Die Genossen vom Zentralorgan führten sodann ein literarisches Schwergewicht in die Handlung ein, Georg Herwegh, den Dichter des Vormärz. Der hatte „an den Verstorbenen« die Frage gerichtet: „Doch wiegtest unter Palmen Du Dein Prophetenhaupt, wenn nicht aus unsern Halmen Du erst Dein Gold geraubt? “Da konnte die Cottbuser Kulturredaktion nicht abseitsstehen und setzte zum Knock-Out an: „Brauchen wir das ‚objektive Lebensbild‘ eines feudalen Fürsten, dessen Gebeine glücklicherweise seit langem in der Gruft modern? Ist es unbedingt nötig – jetzt, in dieser Epoche des Aufbaus des Sozialismus – seine ‚Verdienste‘ zu würdigen, die ‚Licht- und Schattenseiten‘ einer Person abzuwägen, von der wir etwas grundsätzlich wissen – nämlich, dass sie auf der anderen Seite der Barrikade gestanden hat.“ Den dritten Akt, vor der Abstrafung, bildeten dann die Leserbriefe von „Arbeiterveteranen“, „Arbeiterkindern“ und „Werktätigen“. Die stellten dann auch fest, dass nicht dieser „Leuteschinder“, sondern dessen Bauern die Parkschöpfer waren, und zwar „im Schweiße ihres Angesichts.“ Fast gendergerecht beklagten die „Landarbeiter und Landarbeiterinnen“, dass Pückler, der „miserable Reiseschriftsteller“, das Geld für seine Parkanlagen „aus den Knochen seiner Untergebenen herausgepresst“ hatte. Ob Zensor und Autor ungeschoren davonkamen, ist nicht bekannt. Jedenfalls wurde ihnen dringend geraten, sich mit den „Lehren des Marxismus-Leninismus zur Rolle der Volksmassen zu beschäftigen“. Heute weiß man weit über Branitz und Bad Muskau hinaus, dass Pückler eine Persönlichkeit von europäischem Format war. Und doch kam es fast zu einer Wiederholung eines solchen doppelten Spektakels, allerdings mit umgekehrten Vorzeichen. Als 2010 zum Pücklerjubiläum im Cottbuser Staatstheater Johann Kresniks „Fürst Pücklers Utopia“ aufgeführt wurde, sprach man in der großen Welt von der Cottbuser Theaterkunst und vom Pücklerschen Erbe. Aber es gab wohl für einige städtische Honoratioren zu viel „Nacktheit, Blut und Sperma“. „Peinliche Sex-Revue oder große Kunst?“, fragte die hiesige Tageszeitung. Und es gab Stimmen, die wollten die Theaterverantwortlichen gar vor den Kulturausschuss des Stadtparlaments zitieren, um sie wegen des „Skandals“, wegen der „Verunglimpfung“ des Fürsten, zu kritisieren. Zu Kritik und Selbstkritik kam es nicht. Denn: Wer zu einer Kresnik-Inszenierung zu Pückler geht, muss mit drastischen Bildern rechnen. Wer so wenig vom Theater (und von Pückler) versteht, dass er das nicht weiß, muss dann eben etwas stiller sein. Sonst sind wir wieder bei der Frage: Wo steht Pückler? Wo stehst Du?