Cottbus-Besucher enttäuscht Gastgeber in der DDR
Im Jahr 1969 gab es im leidgeprüften Sudan einen erneuten Militärputsch. Diesmal übernahm Oberst Gaafar el Nimeri (Moderne Umschrift: Dschafar Muhammad an-Numairi) die Macht in dem Nordost afrikanischen Staat. Der zunächst an den Ideen von Gamal abdel Nasser orientierte Offizier machte seine Sudanesische Sozialistische Union zur alleinherrschenden Partei und sich selbst zum Vorsitzenden des Revolutionären Kommandorates. Ähnlich wie der ägyptische Präsident orientierte sich Nimeri politisch zunächst an der Sowjetunion und verstaatlichte Banken sowie ausländische Unternehmen. Das machte ihn interessant für die außenpolitischen Bemühungen der DDR zur Durchbrechung der diplomatischen Blockade der Bundesrepublik. Ende der Sechzigerjahre wurde die sogenannte Hallstein-Doktrin allmählich brüchig. Sie besagte, dass die Bundesrepublik ihrerseits die Beziehungen zu jenen Staaten abbricht und die Wirtschaftshilfe einstellt, die Beziehungen zur DDR aufnehmen. Die Anerkennung der DDR durch den Sudan und die Aufnahme voller diplomatischer Beziehungen im Juni 1969 war dann auch einer der Schritte, die später zur vollständigen Aufgabe der Hallstein-Doktrin und zur gleichberechtigten Aufnahme beider deutscher Staaten in die UNO führte. Entsprechend intensiv wurde jener Gaafar el Nimeri von der DDR-Führung umworben. Nach einem kommunistischen Umsturzversuch wechselte der inzwischen zum Staatspräsidenten gewählte Offizier allerdings die Seiten. Im Jahr 1972, vor 45 Jahren, nahm er einen Kurswechsel vor, erneuerte die Beziehungen zur Bundesrepublik und zu den USA und erklärte den Islam zur Staatsreligion. Später führte Nimeri sogar die Scharia ein und stellte den USA militärische Einrichtungen zur Verfügung. Davon war allerdings 1970 noch nichts zu spüren. El Nimeri besuchte Anfang Juli die DDR und wurde mit großem Protokoll empfangen. Zu einem ordentlichen Staatsbesuch gehört immer auch ein Ausflug in die Provinz. Und der führte, wie schon bei König Fuad II. von Ägypten vier Jahrzehnte zuvor, nach Cottbus. Die Lausitzer Rundschau kündigte die Visite so an: „Am heutigen zweiten Tag des offiziellen Staatsbesuches begrüßen die Einwohner unseres Bezirkes mit großer Freude Generalmajor Nimeri in Spremberg und in Cottbus. Dabei wird er in der Bezirksstadt von Genossen Walter Ulbricht begleitet.“ Es folgt der Aufruf: „Bereiten wir ihnen einen herzlichen Empfang! Schmückt Häuser, Straßen und Plätze!“ Natürlich war ein Spalier organisiert. Die Begrüßung der beiden hohen Gäste erfolgte vor dem Restaurant Stadt Cottbus in der Sprem. Ulbricht und Nimeri sprachen sich mit dem in der DDR noch ungewöhnlichen „Exzellenz“ an. Höhepunkt in der Bezirksstadt war der Besuch des noch ganz jungen Textilkombinates. Dort gab es ein Meeting, das die Tageszeitung „als einmaliges Erlebnis und den Besuch als Anerkennung für Cottbus“ würdigte. Die damalige Losung „Überholen ohne einzuholen“ mag dem afrikanischen Potentaten schleierhaft erschienen sein. Gemeint war damit die an sich gute Zielstellung, zu einer besseren Gesellschaft zu kommen, ohne die Auswüchse des Kapitalismus zu wiederholen, also zum Beispiel einen ordentlichen ÖPNV zu organisieren, ohne Millionen Privatfahrzeuge auf den Straßen. „Auf diese aktuelle Losung ging auch Walter Ulbricht ein und erläuterte, wie sie mittels unserer Perspektivplanung zu verwirklichen ist“. Und natürlich wurden die Reden „immer wieder von Beifallsstürmen“ unterbrochen. Der Beitrag „Ein Tag des Stolzes“ kennzeichnet die ideologische Atmosphäre zu Beginn der Siebziger und entbehrt nicht unfreiwilliger Komik: „Die Cottbuser hatten gestern Grund zur Freude. Besonders glücklich waren wir, den Repräsentanten der Demokratischen Republik Sudan, Generalmajor Gaafar Mohamed Nimeri, bei uns begrüßen zu können.“ Mit „Verehrung“ und „ebensolcher Herzlichkeit“ wurde Ulbricht begrüßt. „Das drückte sich auch in den bewegten Worten einer Spreewaldbäuerin aus Tranitz aus, die nach Cottbus gekommen war, um ihm zuzuwinken.“ Und es wurde an den Besuch des Staatsratsvorsitzenden 1964 in Cottbus erinnert, bei welchem selbiger „Anregungen für den Aufbau eines Stadtzentrums“ gab. „Jetzt können wir bereits einiges vorweisen!“ Doch zurück zur großen Politik: Beide Seiten gelobten in der „Gemeinsamen Erklärung der DDR und der DRS“ die „freundschaftlichen Beziehungen allseitig weiterzuentwickeln“ und „konkrete Maßnahmen zur wirtschaftlichen Zusammenarbeit“ auszuarbeiten. Es kam anders! Nach seinem Tête-à-Tête mit Moskau und Ost-Berlin wandte sich Nimeri 1972 wieder dem Westen zu, erneuerte die diplomatischen Beziehungen mit Bonn, nannte sein Land bald Islamische Republik Sudan und rief sich selbst zum Iman aus. Aber auch in der DDR kam es zu Veränderungen. Nach Ulbrichts Sturz 1971 war Schluss mit „Einholen ohne Überholen“. Honeckers Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik setzte auf Konsum.