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Wieder Friedensfahrt in Cottbus

Das städtische Pressegespräch am 20. Februar 1996 war gut besucht. Wegen des zu erwartenden Andrangs fand es im Messezentrum statt. Zwei Männer standen im Mittelpunkt des Interesses von zahlreichen Sportjournalisten, Gustav-Adolf Schur, genannt Täve, und der Cottbuser Oberbürgermeister Waldemar Kleinschmidt. Sie hatten sich vorgenommen, das ehemals wichtigste Amateurradrennen und die wohl mit Abstand populärste Sportveranstaltung der DDR, die Internationale Friedensfahrt, unter neuen Bedingungen wiederzubeleben.

Friedensfahrt: Das war einst ein Zauberwort. Das Rennen fand ab 1948 statt. Seit 1952 gab es die Strecke Prag-Warschau-Berlin mit wechselnden Etappenorten. Die Friedensfahrtfanfare rief am Nachmittag Millionen an die Rundfunk- und Fernsehgeräte. Mit Täve Schur, der das Gesamtrennen zweimal gewann, wurde der Wettkampf zum Mittelpunkt des DDR-Sports. Schur war der mit Abstand populärste Sportler des Landes. Aber auch die anderen Pedalritter waren Helden. DDR-Friedensfahrtsieger waren neben Täve auch Erich Hagen, Klaus Ampler, der Cottbuser Hans-Joachim Hartnick und Olaf Ludwig. Bei der „Kleinen Friedensfahrt“ eiferten die Jüngsten diesen Helden nach.
Auch international war der Course de la Paix hoch angesehen. Neben den sozialistischen Ländern waren die großen westeuropäischen Radsportnationen regelmäßig dabei. Störungen gab es nur zweimal. Nach der Invasion der Warschauer Vertragsstaaten in der CSSR fand das Rennen 1969 nur zwischen Warschau und Berlin statt. Und 1986, als zum ersten Mal das ukrainische Kiew als Startort für die Friedensfahrt ausersehen war, sagten wegen der Nuklearkatastrophe von Tschernobyl die Westeuropäer ab. Das Ende des berühmten Rennens begann 1990. In diesem ersten Jahr nach der Wende waren deutsche Fahrer ins Profilager gewechselt und bereiteten sich auf die finanziell einträgliche Tour de France vor. In den folgenden Jahren war es nur noch ein Wettkampf auf tschechischen und polnischen Straßen. Mitte der Neunziger Jahre entstand dann die Idee, die Friedensfahrt wieder in alter Größe, nun aber als Profirennen, entstehen zu lassen. Auf der Suche nach Etappenorten und Sponsoren fand Cheforganisator Täve Schur im Cottbuser Oberbürgermeister einen Radsportanhänger, der diese Idee unterstützte. Warum durfte Cottbus als Etappenort bei diesem Wiederbelebungsversuch nicht fehlen?
Die Stadt war erstens eine Hochburg des Radsports. Zum Vergleich: Die gesamte deutsche Olympiamannschaft gewann 2012 in London 44 Medaillen. Bei der Olympiade1980 gewannen allein die Radsportler des SC Cottbus mit dem Quintett Lutz Heßlich, Lothar Thoms, Volker Winkler, Hans-Joachim Hartnick und Bernd Drogan fünf Medaillen. Zweitens wusste Täve, dass er beim sportbegeisterten Cottbuser OB auf offene Ohren stoßen würde. Waldemar Kleinschmidt war 1990 Mitglied des NOK der DDR geworden und führte nach dem Zusammenbruch von DDR-Strukturen zunächst den Cottbuser Sportclub. Der Hauptgrund war aber die Tatsache, dass Cottbus in der Geschichte der Friedensfahrt eine hervorragende Rolle gespielt hatte. Die Bezirksstadt war bis 1989 achtmal Etappenort. Die Sieger hießen Jan Vesely, Jan-Pierre Danguillaume, Nikolai Gorelow,  Dieter Mickein, Bernd Drogan und Uwe Raab. Die 29. Internationale Friedensfahrt 1976 beendete der Cottbuser Hans-Joachim Hartnick als Gesamtsieger.
Beim Pressegespräch zum geplanten Rennen 1996 mit dem Etappenort Cottbus betonte Cheforganisator Täve Schur: „International genießt die Friedensfahrt nach wie vor einen bedeutenden Stellenwert. Noch wichtiger ist mir aber, dass sie als länderübergreifende Veranstaltung bei den Menschen in den neuen Bundesländern anerkannt ist.“ Am 16. Mai 1996, vor 20 Jahren, und 20 Jahre nach dem grandiosen Gesamtsieg von Hans-Joachim Hartnick, kam dann die Friedensfahrt wieder nach Cottbus. Die Lausitzer Rundschau berichtete: „Schätzungsweise 5000 Zuschauer begrüßten die über 100 Fahrer, die kurz nach 16 Uhr auf dem Stadtring zum Endspurt ansetzten und von denen Steffen Wesemann als erster über die Ziellinie jagte.“ Aber das Rennen konnte sich in den folgenden Jahren im internationalen Wettkampfkalender nicht endgültig platzieren. Die 58. Friedensfahrt 2006 beendete dieses Kapitel des Radsports.


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