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„Sie werden platziert!“ - Mentana, Molle und Co.

Die Spuren der „sozialistischen Gastlichkeit“ sind fast gänzlich getilgt. Die Tage der Großgaststätten in Cottbus, des „Stadttors“, des „Kleinen Spreewehrs“ oder des „Brunschwigs“, waren nach der Wende gezählt.
Auf dem Weg zum Schulessen in der Mentana. Foto: Erich Schutt

Auf dem Weg zum Schulessen in der Mentana. Foto: Erich Schutt

In einem Bericht vor dem IX. Parteitag hieß es noch stolz: „In den letzten 25 Jahren entstanden 19 moderne Gaststätten, so dass Cottbus insgesamt über 70 Gaststätten aller Eigentumsformen mit 9.362 Plätzen verfügt.“ Die Erinnerungen daran sind sicher geteilt. „Sie werden platziert!“ lautete die Ermahnung am Eingang, gerichtet an zu selbstständige Gäste. Und so begann auch der Restaurantbesuch mit der allgegenwärtigen Wartegemeinschaft. Das Cottbuser Bier war jammervoll. Im Wettbewerb um das schlechteste DDR-Bier belegte es in einem „Eulenspiegel“-Ranking den mit Abstand letzten Platz („naturtrüb und schaumgebremst“). Da war man im „Hotel Lausitz“ mit Wernesgrüner oder im „Kraftwerker“ mit Karat besser bedient. Die Preise waren „moderat“, wie man heute sagt. Den Besuch im „Bergmann“ konnte sich jeder leisten. Im Sandow-Eck kostete das Schnitzel mit Bratkartoffeln 3,10 Mark. Die Qualität des Essens an der ehemaligen Grillbar vom „Stadt Cottbus“ ist auch heute unübertroffen, auch deshalb, weil es die vielen Fertigprodukte, die jetzt mit auf den Teller kommen, gar nicht gab. In einigen Nischen hielten sich damals Restaurationen, an die die Cottbuser sicherlich gern denken: Der „I-Club“ mit den Premierenfeiern, die „Totenschenke“ oder der legendäre „Clou“. Die Errichtung einer Gaststätte im Neubaugebiet Sandow fand vor 45 Jahren besondere Aufmerksamkeit. Die „Mentana“ in der Otto-Grotewohl-Straße war schon vor ihrer Eröffnung im Gespräch. Die Deutung des Namens ‚Mensa für Tag und Nacht‘ war gar nicht so übertrieben. Es sollte keinen Ruhetag geben. Gleichzeitig war die neue HO-Gaststätte mit 380 Sitzplätzen zur Mittagszeit als Ort niveauvollen Schulessens vorgesehen. Die Lausitzer Rundschau berichtete von der Eröffnung durch Oberbürgermeister Heinz Kluge am 6. September: „Die ersten Gäste in der modern und zweckmäßig eingerichteten Gaststätte waren Schüler der Ernst-Thälmann-Oberschule und der Walter-Wagner-Oberschule, die in dieser Gaststätte ihr Mittagessen erhalten. Das Personal der Gaststätte, das sich in Auswertung des VIII. Parteitages der SED verpflichtete, in rollender Woche, also ohne Ruhetag zu arbeiten, wird täglich 2.800 Portionen für die Schulspeisung herstellen… Die Kinder haben die Möglichkeit, zwischen zwei Gerichten zu wählen.Ab heute steht die Gaststätte täglich von 10 bis 24 Uhr (samstags und sonntags bis 1 Uhr) der Öffentlichkeit zur Verfügung.“ Die erweiterten Öffnungszeiten waren eine Reaktion auf Kritiken der Bürger: „Es ist nicht zu verantworten, dass uns am Wochenende der Bier- und Brausehahn abgedreht wird!“, klagten die Sandower. In der „Mentana“ konnte man nun auch sonntags sein Bierchen trinken und an sieben Tagen in der Speisebar Mittag essen. „Am Abend stehen weitere 150 Sitzplätze und eine Tanzfläche für die Gäste zur Verfügung. Täglicher Tanz, eine Diskothek und ein umfangreiches Angebot an Speisen und Getränken werden den Besuchern die Stunden in der Gaststätte angenehm gestalten.“ Außer Schulessen und Tanz gab es in der „Mentana“ auch Frauentagsfeiern, Wohngebietsveranstaltungen und Sportlerehrungen. Zur 28. Friedensfahrt 1975 erklang dort „die Fanfare der Friedensfahrt, als der Präsident des DDR-Radsportverbandes, Gerhard Voß, den Mitgliedern der Friedensfahrtmannschaft der DDR die Trikots mit dem schwarzrotgoldenen Brustring und dem Staatsemblem überreichte.“ Die „Mentana“ war nicht die einzige Handelseinrichtung, die im zweiten Halbjahr 1971 eröffnet wurde. Mit der Fertigstellung der Wohnscheibe Stadtpromenade ging auch die Ladenzeile im Untergeschoss in Betrieb. Als erstes öffnete dort im August die Delikat-Filiale, ein Geschäft jener Kette, mit der die DDR den Kaufkraftüberschuss mit importierten und ausgewählten Waren abschöpfen wollte. Dann folgten die „Molle“, ein Restaurant mit 90 Plätzen, das Jugendmodezentrum und der Herrenmodeladen Exquisit. Delikat und Exquisit waren in der DDR wegen der hohen Preise umstritten, auch wenn es bei der Eröffnung der Filialen hieß: „Die Delikat-Verkaufsstelle ist Auswertung des VIII. Parteitages in Aktion...“. Doch zurück zur „Mentana“. Nach der Wende war die Zeit der Großgaststätte mit Schulessen vorbei. Mehrere Betreiber haben mit wechselnden Konzepten einen Neuanfang versucht. Seit dem Jahr 2000 stand das Gebäude endgültig leer. 2016 wurde es abgerissen. Die Fläche ist für den Wohnungsbau vorgesehen.


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