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Neuer Oberbürgermeister in Cottbus

- Vor 30 Jahren -

 Um die Tagung der Cottbuser Stadtverordneten am 13. Dezember 1989 ranken sich einige Legenden. Im Stadtarchiv existiert kein Protokoll der Beratung. Es gibt nur wenige Fotos. Das Durcheinander in der DDR, im Bezirk und in der Stadt hatte Anfang Dezember einen gewissen Höhepunkt erreicht. Als Befreiungsschlag, aber völlig ungeordnet, war vorher die Grenze geöffnet worden. In Berlin trat der wenige Wochen zuvor inthronisierte Egon Krenz zurück. Zum Retter der SED berief ein außerordentlicher Parteitag den Shootingstar Gregor Gysi. Der verbotene »Sputnik« tauchte wieder auf und die Lausitzer Rundschau, jetzt eine »Sozialistische Tageszeitung«, entschuldigte sich bei ihren Lesern für eine »falsche Medienpolitik«. Am Nordrand versiegelte Staatsanwalt Horst Helbig Diensträume der Staatssicherheit. Der Abriss der Häuser am Thälmannplatz wurde abgeblasen. Im Rathaus hatte nun auch Oberbürgermeister Erhard Müller seinen Rücktritt angekündigt. In Vorbereitung auf eine zum 13. Dezember einberufene Sondersitzung der Stadtverordnetenversammlung waren die inzwischen gebildeten Fraktionen aufgefordert worden, Vorschläge für die Neuwahl eines Verwaltungschefs zu machen. Zwei Tage vor der Beratung gab es vor der Oberkirche eine »emotionsgeladene Kundgebung« mit Forderungen nach der Auflösung der Betriebsparteiorganisationen, der Schließung der Stasi-Dienststellen und – noch zaghaft – nach „einem vereinten Deutschland“.

Waldemar Kleinschmidt wird Oberbürgermeister

Zum Verlauf der Sondersitzung des Stadtparlaments gibt es nur einen knappen Bericht der LR. Schriftliche Vor- oder Nachbereitungen existieren nicht. Nach den Erzählungen der Teilnehmer wurde zunächst Erhard Müller unter »anhaltendem Beifall« und »angesichts seines Alters« von der Funktion entbunden. Der Bezirksratsvorsitzende Peter Siegesmund war in zweifacher Mission anwesend. Seinen ersten Part, Ex-OB Müller zu danken, konnte er erledigen. Der Plan, der Versammlung einen Nachfolger zu präsentieren, kam hingegen nicht zur Ausführung. Die Stadtverordneten nahmen die Auswahl des neuen OB selbst in die Hand. Abgestimmt wurde auf dem Höhepunkt der Diskussion über folgende Frage: Soll man sofort einen »neuen Oberbürgermeister mit allen Kompetenzen wählen« (Vorschlag der LDPD) oder soll man – in Anbetracht der fragilen Kommunalwahlen – damit bis zu Neuwahlen warten und eines der Ratsmitglieder kommissarisch mit der Wahrnehmung der Funktion beauftragen (Vorschlag der NDPD). »Nach einer Pause, in der die Fraktionen berieten, kam es dann zu diesem Ergebnis: 76 Abgeordnete entschieden sich für den Antrag der NDPD, 54 dagegen, 11 enthielten sich der Stimme.« Die Mitglieder des Rates zogen sich zur Beratung zurück. Schon in der Pause fiel der Name Waldemar Kleinschmidt. Der Finanzstadtrat war Mitglied der CDU. Sein hohes Ansehen bei den Cottbusern, seine für DDR-Verhältnisse relative Unabhängigkeit und seine Nähe zur Kirche machten ihn zum Mann der Stunde. So kam es auch. Am Ende der Sitzung der Stadtverordneten hatte Cottbus als erste große Stadt der DDR einen nicht vom alten System bestimmten Verwaltungschef. In den folgenden Monaten sollte sich dann zeigen, dass die Stadt damit die »Verspätung« bei den Demonstrationen mehr als aufholte. Der Cottbuser Generalsuperintendent Reinhardt Richter, der kurz darauf die Leitung des Runden Tisches übernahm, beurteilte Kleinschmidts Wahl so: »Das war eine für den Fortgang der Geschicke in der Stadt sehr glückliche Personalentscheidung, unterlag er als CDU-Politiker in der Bevölkerung doch nicht den gleichen politischen Vorbehalten wie die SED-Mitglieder, brachte aber eine Fachkenntnis der städtischen Gegebenheiten und ihrer Verwaltung mit und ein auf Gegenseitigkeit beruhendes Vertrauensverhältnis zu den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Rathaus, um das ihn Neueinsteiger in vergleichbaren Positionen in anderen Städten nur beneiden konnten.«

Die richtigen Entscheidungen

Der neue »amtierende« Oberbürgermeister zeigte in seinen Entscheidungen, welche Richtung er der Cottbuser Entwicklung geben wollte. Die Einbeziehung der neuen Parteien und Bewegungen in die Arbeit des Stadtparlaments einschließlich der hauptamtlichen Verwaltung, die vollständige Offenheit aller Vorgänge, also Glasnost, und die Wiederherstellung der unterbrochenen Verbindungen zur Partnerstadt Saarbrücken waren die ersten Schritte. Den Mitarbeitern der Stadtverwaltung gab Kleinschmidt die Sicherheit, dass sie auch in Zukunft gebraucht würden.
Und obwohl ab Dezember 1989 verstärkt Bonn auf die Entwicklung in der DDR einwirkte, war es nun zunächst ein Österreicher, der sich mit Cottbus beschäftigte. Die braven Zeitungsleser hatten es etwas ungläubig zur Kenntnis genommen. Als Gemeinschaftssendung von ARD, ORF, SRG und dem DDR-Fernsehen sollte der »Musikantenstadl« aus der Stadthalle in Cottbus gesendet werden. Und tatsächlich: Am 3. Advent erfuhren die Zuschauer in den vier deutschsprachigen Ländern von Karl Moik, dass Cottbus als erste ostdeutsche Stadt mit einem neuen Verwaltungschef bereit zum Aufbruch ist. Die ersten Schritte dazu waren in den folgenden Monaten Demokratieübungen am Runden Tisch.


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