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Großbrand im RAW–Wie ging man in der DDR mit Katastrophen um

- Vor 50 Jahren -
Lausitzer Rundschau vom 20. Dezember 1968. Quelle: Stadtarchiv Cottbus

Lausitzer Rundschau vom 20. Dezember 1968. Quelle: Stadtarchiv Cottbus

Der Umgang mit Naturka­tastrophen und technischen Havarien sagt einiges über die Gesellschaft aus. Ein­gestürzte Autobahnbrücken, Tunnelbrände oder Flugzeug­unglücke haben Nachrichtenwert. Informationen darüber werden heute schnell verbreitet; dafür sorgen Son­dersendungen, »Brennpunkte« und das Netz. Boulevard-Medien nutzen die Sensationsgier der Menschen und sind bei Katastrophen aller Art schnell vor Ort. Die Möglichkeit, mit dem Handy eigene Bilder und Videos von Unglücken zu produzieren, lockt Gaffer an. Die üblichen Betroffenheitsrituale fordern Anteilnahme der Politiker. Bei einem Hochwasser 2002 wurde in einer Landeshauptstadt der Bahnhof überschwemmt. Die Verwaltung klagte später, dass die folgende Flut der Po­litpromis vor Ort fast so anstrengend war, wie das Wasser selbst. Scheinbar ist auch nach einem Erdbeben wichti­ger, was die Regierungschefin in ihrem Kondolenzschreiben mitteilt, als die Situation der Opfer. Die Menschen in der verblichenen DDR erlebten das gegentei­lige Extrem. Dort wurden Katastrophen und Havarien entweder verschwiegen oder in den örtlichen Medien in we­nigen, dürren Worten erwähnt, wenn es gar nicht anders ging. Jede Diskussion über Ursachen, die das System oder Teile davon in Frage stellen könnten, wurde unterdrückt. Das galt besonders, wenn die NVA oder die sowjetische Armee in Unfälle verwickelt waren. Feuer in der Lok-Halle Nun ist Cottbus in den letzten Jahr­zehnten von Katastrophen weitgehend verschont geblieben. Und wenn es zum Absturz von Militärflugzeugen, zu Hochwasser oder Großbränden kam, dann hat das professionelle Eingreifen der Feuerwehr manches verhindert. Der folgenschwerste Brand nach dem II. Weltkrieg ereignete sich vor 50 Jahren. Am 19. Dezember 1968 explodierte im Reichsbahnausbesserungswerk (RAW), dem heutigen Fahrzeuginstandhaltungswerk der DB, ein Kesselwagen mit brennbarem Material. Aus dem schadhaften Wagon entwichen vorher Gase und Flüssigkeit. Als entgegen allen Vorschriften dort Schweißarbeiten begannen, flog der Kesselwagen in die Luft. In den Anna­len der Cottbuser Feuerwehr heißt es dazu: »Ursache der Brandkatastrophe waren die Missachtung von Anweisun­gen bei Schweiß- und Schneidarbeiten, aber auch die Missachtung allgemeiner Brandschutzbestimmungen. Durch die verantwortlichen Fachingenieure wurde die Weisung ihrer übergeordne­ten Fachabteilung umgangen und von ihnen entschieden, Schweißarbeiten an einem Großraumkesselwagen mit 48 t Benzolgemisch ausführen zulassen.« Die 1951 erbaute Lokhalle diente der Instandsetzung von Dampf- und Diesellokomotiven. Sie war mit drei Portalkränen und einer Azethylen­leitung ausgestattet. Zum Zeitpunkt des Unglücks befanden sich acht Dampfloks, fünf Dieselloks und jener Kesselwagen in der 125 m langen Halle. Das brennende Benzolge­misch entwickelte sofort hohe Tem­peraturen. Die Dachkonstruktion aus Holz und Dachpappe stand augen­blicklich in Flammen. Stromausfall und herabstürzende Dachelemente erschwerten die Rettungsarbeiten. Zu spät erfolgte die Alarmierung der Berufsfeuerwehr. Gegen 21 Uhr star­tete die Suche nach zwei vermissten Kollegen. Einen Schlosser fand man lebend. Die Fahrerin des großen Portal­kranes konnte nur noch tot geborgen werden. Der Sachschaden wird in un­terschiedlichen Quellen zwischen fünf und zehn Millionen Mark angegeben. Beherzten Ströbitzer Feuerwehrleuten gelang es zwar noch, einige Loks aus der Flammenhölle herauszufahren und benachbarte Gebäude zu retten. Aber der Kern des RAW war zerstört. Später wurden die restlichen Gebäude abgerissen und der Betrieb in den Sieb­zigern weitgehend neu errichtet. Drei Sätze in der Zeitung Einen Tag nach dem Großbrand melde­te die Lausitzer Rundschau das Ereig­nis auf der Lokalseite mit drei Sätzen. Einen weiteren Tag später die abschlie­ßende Mitteilung: »Bei Schweißarbei­ten entstand in den Abendstunden des Donnerstages in einer Halle des Reichsbahnausbesserungswerkes Cottbus ein größerer Brand, bei dem bedauerlicherweise ein Be­triebsangehöriger ums Leben kam. Es wurde erheblicher Sachschaden verursacht.« Auch bei den wöchent­lichen Beratungen des Rates der Stadt fand die Brandkatastrophe, zumindest im offiziellen Teil, keine Beachtung. Die Protokolle berichten von der jährlichen Eingabenanalyse, der Einschätzung des »Mach-mit-Wettbewerbs« und der Vorbereitung des 20. Jahrestages der DDR. Von dem verheerenden Feuer und dem Todesopfer gab es kein Wort. Die Tatsache, dass die Feuerwehr damals zur Polizei gehörte, ist dafür keine ausreichende Begründung.


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