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„Ermutigung“ im Westen - Wolf Biermann wird ausgebürgert

Die Tinte auf den Karteikarten mit den abgeschriebenen Biermann-Gedichten ist heute fast verblasst. „Die Stasi-Ballade“, „Die hab ich satt“ und „Oh, Sindermann, du blinder Mann“ gingen Anfang der Siebziger von Hand zu Hand. Trotz Isolierung war Wolf Biermann populär und von der Führung zunehmend gefürchtet. Der Sänger nannte die Dinge beim Namen. Seine robuste Rhetorik empfand die Partei als ungeheuerlich.
Vor dem Auftrittsverbot 1965: Wolf Biermann singt in Cottbus, Foto: Erich Schutt

Vor dem Auftrittsverbot 1965: Wolf Biermann singt in Cottbus, Foto: Erich Schutt

„Wo glotzt des Führers Fratze, wo/ Dich an in jedem Drecksbüro/ In Kneipen, Straßen und im Zoo ...“ Das war ja wohl ein starkes Stück. Da konnte man nur sagen: „Wenn Biermann solche Lieder singt/ Dann wird ihm was passieren/ Dann kommt mal statt des Milchmanns früh/ wer anders zum Kassieren!“
Biermanns Sprache war deftig und klar. Er hatte nicht Heines leichtfüßig tänzelnde Ironie. Aber seine Sprüche trafen ins Schwarze. („Sag bloß mal einen wahren Satz/ Dann kriegst du einen vor den Latz ...“) Seine geistreichen Lieder sind meilenweit von heutigen dümmlich-primitiven „Schmähgedichten“ entfernt.
In den nachfolgenden Zeilen soll es aber nicht um Biermann Lyrik gehen, sondern um die Folgen seiner Ausbürgerung aus der DDR und den Protest namhafter Künstler. Dieser anhaltende Widerstand kam unerwartet, wahrscheinlich selbst für Biermann. („Die Dichter mit der feuchten Hand/ Dichten zugrunde das Vaterland“) Der Sänger erhielt im November 1976 überraschend eine Genehmigung für eine Konzertreise nach Westdeutschland. Den erste Auftritt in Köln am 13. November, vor 40 Jahren, übertrug der WDR-Hörfunk. Im Westen mutmaßte man schon vor dem Liederabend, dass die DDR mit einem Rückreiseverbot reagieren würde, ja, dass die Reiseerlaubnis nur gegeben war, um den aufmüpfigen Biermann loszuwerden.
Der Sänger war in Cottbus nicht gänzlich unbekannt. Im Haus der Jugend war er in den Sechzigerjahren aufgetreten. In der Lausitzer Rundschau lasen die Cottbuser dann am 17. November 1976 zum ersten Mal wieder den Namen Biermann: „Die zuständigen Behörden der DDR haben Wolf Biermann, der 1953 aus Hamburg in die DDR übersiedelte, das Recht auf weiteren Aufenthalt in der Deutschen Demokratischen Republik entzogen ... Mit seinem feindlichen Auftreten gegenüber der Deutschen Demokratischen Republik hat er sich selbst den Boden für die weitere Gewährung der Staatsbürgerschaft der DDR entzogen.“ Damit sollte die Affäre Biermann aus der Welt geschafft sein. Aber weit gefehlt! Der Westen nutzte die günstige Gelegenheit. Am 19. November sendete die ARD den Mitschnitt des Konzerts in voller Länge. Das war der Zeitpunkt, an dem Millionen DDR-Bürger Biermanns Lied „Ermutigung“ erstmals hörten. („Du, lass dich nicht verhärten in dieser harten Zeit.“) Noch mehr irritierte die SED-Führung ein anderer Vorgang. In einer von Stephan Hermlin initiierten Erklärung schrieben angesehene DDR-Schriftsteller: „Wolf Biermann war und ist ein unbequemer Dichter. Das hat er mit vielen Dichtern unserer Vergangenheit gemein. Unser sozialistischer Staat ... müsste im Gegensatz zu anachronistischen Gesellschaftsformen eine solche Unbequemlichkeit gelassen nachdenkend ertragen können. Wir identifizieren uns nicht mit jedem Wort und jeder Handlung Wolf Biermanns und distanzieren uns von den Versuchen, die Vorgänge um Wolf Biermann gegen die DDR zu missbrauchen. Biermann hat selbst nie, auch nicht in Köln, Zweifel darüber gelassen, für welchen der beiden deutschen Staaten er, bei aller Kritik, eintritt. Wir protestieren gegen seine Ausbürgerung und bitten darum, die beschlossene Maßnahme zu überdenken.“ Es folgen die Unterschriften von Christa Wolf, Sara Kirsch, Volker Braun, Gerhard Wolf, Rolf Schneider, Stephan Hermlin, Erich Arendt, Franz Fühmann, Stefan Heym, Jurek Becker, Günther Kunert und Heiner Müller. Die Fernsehlieblinge Jutta Hoffmann, Rolf Ludwig, Katharina Thalbach, Manfred Krug und viele andere schlossen sich an. Darauf antwortet die DDR-Propaganda mit einer Flut von Erklärungen von Arbeitskollektiven, Beteuerungen der Linientreue von Künstlerverbänden und Ergebenheitsadressen. Unter der Überschrift „Empörung über den Verrat an unserem Land“ und „Leidenschaftliche Unterstützung“ widmet sich die Cottbuser Bezirkszeitung seitenweise dem Thema Biermann, das es eine Woche vorher noch gar nicht gab. Kaum ein Prominenter in Cottbus, der nicht zu Lippenbekenntnissen genötigt wurde. In Berlin wurden die Unterzeichner der Erklärung unter Druck gesetzt, ihre Unterschriften zurückzuziehen. Es folgten Parteiausschlüsse, Publikationsverbote, die Nichtaufführung abgedrehter Filme und letztlich die Ausreise namhafter Künstler. Die Kulturszene der DDR blutete aus. Nach der Affäre Biermann war in der Kunst und Literatur der DDR nichts mehr wie vorher. Am 15. November wird Karl Wolf Biermann 80 Jahre alt. Im Bundestag trat er im vergangenen Jahr als „Drachentöter“ auf. Da mag mancher an die Zeilen des jungen Dichters gedacht haben: „Igitt! die ollen Kerls, igitt!/ Mit sowas geh ich nie nich mit!“


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