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Cottbuser Anzeiger kommentiert die "Nacht der langen Messer"

- Vor 85 Jahren -
Stadtmauer mit Lindenpforte 1934, im Hintergrund die wegen des Rathausneubaus zum Abriss vorbereiteten Häuser der Mauerstraße. Foto: Stadtarchiv Cottbus

Stadtmauer mit Lindenpforte 1934, im Hintergrund die wegen des Rathausneubaus zum Abriss vorbereiteten Häuser der Mauerstraße. Foto: Stadtarchiv Cottbus

Am 1. Juli 1934 waren die Cottbuser Beamten auf den Schillerplatz beordert worden. Der Gaupropagandaleiter erklär­te: „Trotz der schweren Stunde, die Führer und Volk durchmachen, ist kein Grund vorhanden, den Kopf hängen zu lassen, denn durch die mannhafte Art, wie der Führer den Verrätern entge­gentrat, ist bereits das Schwerste dieser Schicksalsstunden überwunden.“ Da rieben sich einige der Teilnehmer die Au­gen. Was war geschehen? Wer waren die Verräter? Am nächsten Tag, es war ein Montag, erschien der Cottbuser Anzei­ger mit der Überschrift „Das Komplott Röhm-Schleicher“. Dort war die Rede von der Niederwerfung einer Verschwö­rung. Es habe eine Säuberungsaktion gegeben zur „Wiederherstellung und Si­cherung der Ordnung in Deutschland“. Die Schlagzeilen, die in den inzwischen gleichgeschalteten deutschen Zeitungen ähnlich gewesen sind, riefen bei den Menschen Verwunderung hervor.  Auch in den folgenden Tagen gab es eher undeutliche Mitteilungen über ei­nen niedergeschlagenen Putsch gegen Hitler. Göring erklärte vor der Presse: „So kam es, dass von Seiten der obersten SA-Führung Pläne geschmiedet wurden, um die Bewegung zu schädigen, den Staat zu stürzen und einen Staat aufzurichten, der dann ein Staat dieser kranken Individuen geworden wäre.“ Die oberste SA-Führung hätte eine zweite Revolution gefordert. Erst nach zwei Wochen sprach Hitler dann selber über die blutige Ab­rechnung mit seinen innerparteilichen Gegnern. Blutbad in Bad Wiessee Röhm habe an der Spitze eines Mord­komplotts gegen ihn gestanden. Es wäre nötig gewesen, „erbarmungslos“, „mit unerhörter Entschlossenheit“ und „blitzartig“ zuzuschlagen. Jetzt wird in der Propaganda auch die zuvor tolerierte Homosexualität Röhms thematisiert. Zu diesem Zeitpunkt waren Röhm und Dutzende anderer SA-Führer bereits erschossen. Hitler nutzte die „Nacht der langen Messer“ im bayrischen Wiessee und überall im Reich auch zur Liquidie­rung einer Reihe von anderen Gegnern, so des ehemaligen Reichskanzlers Kurt Schleicher, dessen Ehefrau gleich mit erschossen wurde. Die Opferzahlen werden unterschiedlich zwischen 113 bis 1000 angegeben. Mit der Beseitigung der aufmüpfigen SA-Führung gab die mörderische Clique um Hitler die letzten Reste von Rechtsstaatlichkeit auf. Im fa­schistischen Deutschland konnten nun ohne jedes Gerichtsurteil Menschen ge­tötet werden. Mit dem »Gesetz über Maß­nahmen der Staatsnotwehr« wurden die Bluttaten nachträglich „legalisiert“. Thomas Mann brachte das Wesen des „Hitlerismus“ nach dem Röhmputsch als „das Letzte an Niedrigkeit entarteter Dummheit und blutiger Schmach...“ auf den Punkt. Ursache für die Ermordung Röhms war dessen Zielstellung, die SA zum „Waf­fenträger der Nation“ zu machen. Hitler setzte inzwischen vollständig auf die Großindustrie und die Reichswehr, die mit Hilfe der Wehrpflicht auf einen neu­en Krieg vorbereitet werden sollte. Nach der Ermordung ihrer Führung spielte die SA im Nazi-Reich nur noch eine Nebenrolle. Der Aufstieg von Himmlers SS begann. Röhm in Cottbus Ernst Röhm diente nach der Weltkriegs­teilnahme bis 1923 in der Reichswehr. Er gehörte zu den frühesten Anhängern Hitlers, nahm am Putschversuch 1923 teil und saß dafür fünf Monate Fes­tungshaft ab. Schon beim Aufbau der Sturmabteilungen gab es zwischen ihm und Hitler erste Differenzen. 1928 ging Röhm deshalb für zwei Jahre als Militär­berater nach Bolivien. Zurückgekehrt er­nannte ihn Hitler zum Stabschef der SA. Unter seiner energischen Leitung wuchs die paramilitärische Schlägertruppe bis 1933 auf fast eine halbe Million Mann. Zu diesem Zeitpunkt gehörte Röhm dem engsten Machtkreis der Nazis an. So war er denn auch bei Hitlers Wahlkampfauftritt in Cottbus dabei. Am 19. Juli 1932, beim sogenannten „3. Deutschlandflug“ des NS-Führers, waren Röhms SA-Leute zu Tausen­den an der Rennbahn aufmarschiert. Der Stabschef erwartete mit Jo­sef Goebbels, Hermann Göring und dem örtlichen SA-Führer Udo von Alvensleben Hitler am Flugplatz im Cottbuser Norden. Aber die ideologi­schen und machtpolitischen Differen­zen zwischen Röhms SA und Hitler nahmen in den folgenden Mona­ten zu. Die Reichswehrführung und auch der grei­se Reichspräsident verlangten die Entschei­dung. Mit der Liquidie­rung der SA-Führung entschied sich Hitler für die Generalität. Die Reichswehr wurde nach Hindenburgs Tod auf Hitler vereidigt. Die Kriegs­vorbereitungen konnten beginnen. Ernst Röhm wurde da­nach zur Unperson. Weder im Brockhaus noch in der „Geschichte der Stadt Cottbus“ von 1941 taucht sein Name auf.


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