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Cottbus wird kreisfrei

In Zeiten des wirtschaftlichen Wachstums und des kulturellen Aufschwungs war die Kreisfreiheit Ausdruck und Anerkennung der kommunalen Selbstverwaltung und der Achtung des Willens der Bürger. Wenn allerdings die Interessen der höheren Verwaltungsebene oder deren politische Konstellation mit denen der Stadt nicht übereinstimmte, waren in der Vergangenheit schon Städte eingekreist worden. Das trifft auch auf Cottbus zu.

In der Hochzeit des Stalinismus gab es in der Niederlausitz folgenden merkwürdigen Vorgang: Die Wahlen von 1950 ergaben eine Mehrheit von LDPD und CDU in der Cottbuser Stadtverordnetenversammlung. Hans Bertram (LDPD) wurde am 18. April zum Oberbürgermeister gewählt. Das entsprach keineswegs den Interessen der brandenburgischen SED-Landesregierung. Kurze Schamfrist Schon am 28. April wurde von Potsdam aus die Kreisfreiheit der Stadt aufgehoben. Man integrierte Cottbus in den Landkreis, entzog Stadtverordnetenversammlung und Verwaltungschef erhebliche Kompetenzen und machte den Oberbürgermeister zum Bürgermeister. Als dann 1953 Margarete Schahn (SED) zur neuen Bürgermeisterin gewählt wurde, erhielt Cottbus nach kurzer Schamfrist den kreisfreien Status zurück.
Doch gehen wir noch weiter zurück. Wie und wann wurde die Stadt Cottbus kreisfrei?
Die kommunale Selbstverwaltung der Städte geht auf die preußischen Reformen zurück. Aus der Geschichte In Cottbus trat die Städtereform 1831 endgültig in Kraft. Sie ist eng mit dem Wirken von Karl August von Hardenberg, dem Schwiegervater Hermann von Pücklers, verbunden. Die Selbstverwaltung der Landkreise setzte sich erst viel später durch. Sie ist geregelt in der „Kreisordnung für die Provinzen Preußen, Brandenburg, Pommern, Posen, Schlesien und Sachsen nebst Wahlreglement vom 13. Dezember 1872“. Dort taucht auch erstmalig die Kreisfreiheit auf. Im Paragrafen 4 wird definiert: „Ausscheiden der großen Städte aus den Kreisverbänden. Städte, welche mit Ausschluss der aktiven Militärpersonen eine Einwohnerzahl von mindestens 25.000 Seelen haben und gegenwärtig einem Landkreise angehören, sind befugt, für sich einen Kreisverband, Stadtkreis, zu bilden und zu diesem Behufe aus dem bisherigen Kreisverbande auszuscheiden. Auf den Antrag der Stadt wird dieselbe durch den Minister des Innern für ausgeschieden erklärt.“ Unvorstellbar: Schrumpfende Städte Weiter wird gesagt: „In denjenigen Kreisen, welche nur aus einer Stadt bestehen (Stadtkreise), werden die Geschäfte des Kreistages und des Kreisausschusses, die des letzteren, soweit sich dieselben auf die Verwaltung der Kreis-Kommunalangelegenheiten beziehen, von den städtischen Behörden nach den Vorschriften der Städteordnung wahrgenommen.“ Wiedereinkreisungen sind in diesem Gesetz nicht vorgesehen, wohl auch deshalb, weil man sich den Vorgang des Schrumpfens von Städten nicht vorstellen konnte. In der Regel sind in Deutschland Großstädte mit mehr als 100.000 Einwohnern kreisfrei. Davon gibt es zahlreiche Abweichungen. Mit 34.260 Einwohnern ist Zweibrücken die kleinste und München mit 1,4 Millionen die größte kreisfreie Stadt. Vorbild Guben In Cottbus sprach man über das Ausscheiden aus dem Kreisverband seit 1884. Vorbild war Guben als erster Niederlausitzer Stadtkreis. Beide Städte besaßen 1885 ca. 29.000 Einwohner. Die Öffentlichkeit war längst der Meinung, dass Cottbus „... in der Lage sein dürfte, den gleichen Antrag zu stellen.“ Der endgültige Beschluss wurde dann am 18. August 1886 gefasst. Schon am 22. September im gleichen Jahr bestätigte die Frankfurter Bezirksregierung die Cottbuser Entscheidung. Und am 9. November 1886 veröffentlicht der Reichsanzeiger die Bekanntmachung des Innenministers: „Auf den gefälligen Bericht vom 8. d. Monats erkläre ich ... die Stadt Cottbus aus dem Verbande des Kreises Cottbus in der Art für ausgeschieden, dass dieselbe einen Stadtkreis bildet. Berlin, den 27. Oktober 1886, Der Minister des Innern. von Puttkammer“. In einer Verfügung des Regierungspräsidenten wird der neue Status rückwirkend zum 1. April für gültig erklärt. Erreicht wurde die Kreisfreiheit unter Bürgermeister, dann Oberbürgermeister, Dr. Karl Meyer. Jetzt, 130 Jahren später, schickt sich die Landesregierung an, diesen Prozess rückgängig zu machen. Ein Monsterkreis Nach der Fusion zum Monsterkreis Niederlausitz soll angeblich alles besser werden: Es wird mehr Geld da sein, die Verwaltung arbeitet effizienter, eben zukunftssicherer. So ähnlich klangen die Versprechungen vor dem Zwangszusammenschluss der Hochschule Lausitz und der BTU auch: Die fusionierte neue Uni hat dann mehr Geld für Lehre und Forschung, die Zahl der Professorenstellen steigt und die wissenschaftlichen Projekte werden fortgeführt. Die Wirklichkeit, auch die  Studentenzahlen, sehen ernüchternd aus.
Ulrich Freese (MdB) kommentierte den – zugegeben fantasievollen - Gegenvorschlag des Cottbuser Oberbürgermeisters zur Kreisgebietsreform mit den Worten: „Holger Kelch fehlt es an der erforderlichen Ernsthaftigkeit im Umgang mit seinem Amt. Durch seinen Klamauk trägt er mit dazu bei, die Wähler in die Arme der Rechtspopulisten zu treiben.“ Möglicherweise ist es genau umgekehrt. Mit dem aberwitzigen Vorschlag des zweitgrößten Kreises in Deutschland hat der Innenminister erneut gezeigt, dass man in Potsdam die Kreise dekretieren will und an einem demokratischen Prozess wenig interessiert ist. Sollten daraufhin die Bürgerinnen und Bürger ungehalten oder gar unsachlich werden, dann kann man sie ja immer noch als Pöbel bezeichnen.


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