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Cottbus demonstriert für freie Wahlen

- Vor 30 Jahren -
Erst Ende Dezember '89 gab es bei den Cottbuser Demonstrationen Forderungen nach Wiedervereinigung. Foto: Erich Schutt

Erst Ende Dezember '89 gab es bei den Cottbuser Demonstrationen Forderungen nach Wiedervereinigung. Foto: Erich Schutt

 In Cottbus und im Kohle- und Energiebezirk hatten vor 30 Jahren zwei Großdemonstrationen das Machtgefüge zum Einsturz gebracht. Am 30. Oktober und am 6. November 1989 forderten jeweils über 20.000 Menschen vor der Stadthalle freie Wahlen sowie Reise- und Pressefreiheit. Unmittelbar vor der ersten Montagsdemonstration hatte Bezirksparteichef Werner Walde mit einigen verspäteten Einsichten und übereilt geschmiedeten Plänen noch einmal versucht, das Heft in die Hand zu bekommen. Schuld an der entstandenen Lage sei das Nichterkennen des Bedürfnisses nach mehr sozialistischer Demokratie und das überhebliche Verhalten gegenüber den Reformbestrebungen der anderen sozialistischen Staaten. Die daraus abgeleiteten Zugeständnisse, die Einführung eines Wehrersatzdienstes, die Streichung sogenannter »Sonderbedarfsträger«, die Übergabe der Ferienheime des Ministerrates an den Feriendienst, das Auslaufen der Berlin-Initiative und die Stärkung der örtlichen Räte, waren Versuche des Machterhaltes. Das alles kam zu spät. Mit einigen Korrekturen konnte man die Massen nicht mehr beruhigen. Zum Machtverfall trug in Cottbus auch der hilflose Auftritt der Funktionäre auf dem Podium der Stadthalle bei, der »als desolat, unbeholfen und orientierungslos« empfunden wurde. Der Eindruck wird zwar in der Lausitzer Rundschau noch etwas geschönt. Aber der über zwei Seiten gehende Bericht über die vierstündige Kundgebung bei strömendem Regen am 6. November zeigte schon offen die wirklichen Probleme.

Führende Rolle der SED in Frage gestellt

Es ging um nicht weniger als »die Demokratiefähigkeit der Partei der Arbeiterklasse«, um die »Änderung politischer Strukturen« und natürlich um persönliche Verantwortung. Plakate verlangten »Lasst junge Leute regieren«, »Neues Forum – wir wollen handeln« und »Freie Wahlen«. Fast erschrocken fügte die Zeitung hinzu, es gäbe »auch Forderungen, die die führende Rolle der SED in Frage stellten.« Der Antrag von Sabine Bürger zur Zulassung des Neuen Forums von 19. September war abgeschmettert worden. Nun, sechs Wochen später, nach den Demonstrationen und einem Treffen zwischen der Bezirksleitung und NF-Vertretern, galten die neuen Bürgerbewegungen de facto als anerkannte Gesprächspartner.
Ein Beitrag von Theatermitarbeitern charakterisiert das gesellschaftliche Klima in Cottbus. »Beruhigt Euch nicht! Macht, dass der angefangene Weg unumkehrbar wird. Wer neue DDR-Geschichte machen möchte, muss sich zur alten Geschichte unseres Landes bekennen.« Es ginge darum, »den Begriff Sozialismus neu zu definieren, dass er wieder ein annehmbares Lebens-
ideal für das Volk wird.«
Am 1. Dezember dann kam das Neue Forum in einem Rundtischgespräch der LR, das auch vom Sender Cottbus ausgestrahlt wurde, umfassend zu Wort.
»Wir wollen eine sozialistische Gesellschaft ohne Wenn und Aber.« Und »Wir möchten gern, dass es eine Alternative zum Gesellschaftssystem der Bundesrepublik wird.« Von der Vereinigung der beiden deutschen Staaten also kein Wort. Das Gift der D-Mark-Verlockungen hatte die junge Demokratiebewegung noch nicht erreicht. »Volksfront zur Rettung des Vaterlandes« Nach der Etablierung der Montagsdemonstrationen und der De-facto-Anerkennung der neuen Bürgerbewegungen vollzogen sich zwei Prozesse gleichzeitig. Die Partei versuchte durch Rücktritte und neue Köpfe die Erosion zu stoppen. Parallel dazu agierten die nun von der Kontrolle befreiten Medien mit einer Serie von Enthüllungen. In Berlin waren es die Jagdgebiete von Stoph. Hier in der Lausitz erregte man sich über Schiebung bei der Garagenvergabe. Die neuen Führungsgremien der SED in Cottbus und im Bezirk fanden nun starke Worte zur Charakterisierung der Lage: »Eine korrupte Partei- und Staatsführung hat unsere Gesellschaft an den Rand des Abgrundes geführt.« Notwendig sei eine »Volksfront zur Rettung des Vaterlandes«. Aber das nahmen inzwischen nicht mehr viele ernst. Die Initiative war inzwischen zu den Bürgerbewegungen und den Stadtverordneten der Blockparteien übergegangen. In Vorbereitung der Sondersitzung des Stadtparlaments am 13. Dezember sickerte die Nachricht durch, dass auch Oberbürgermeister Erhard Müller zurückzutreten gedenke.  Bezirksratsvorsitzender Peter Siegesmund wollte deshalb einen eigenen Kandidaten präsentieren.
In den ersten Dezembertagen 1989 war es schwer festzustellen, wer dieses Land regierte. Ob in Berlin oder in der Lausitz: Am nächsten Tag war der neueste Stand meist schon wieder überholt. Das sollte sich am 13. Dezember in Cottbus ändern.


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