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Beginn der unendlichen Geschichte: Erster Spatenstich am BER

Vor zehn Jahren, am 5. September 2006, war Baubeginn am Hauptstadtflughafen. Platzeck, Wowereit und Tiefensee luden zu Sekt, Häppchen und launigen Reden über die Zukunft der Hauptstadtregion ein. „Für das Gesamtvorhaben BBI sind rund 3,6 Milliarden Euro Investitionen und eine Bauzeit von fünf Jahren veranschlagt“, lasen die Cottbuser in ihrer Zeitung.
Foto: fotolia.de

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Das war, verglichen mit früheren Infrastrukturprojekten, sicherlich gut kalkuliert. Vor 150 Jahren baute man an der Bahnlinie Berlin-Cottbus knapp zwei Jahre einschließlich Planung. In Schönefeld aber kam es zum Debakel. Das allein wäre schon schlimm genug, käme nicht eine typische deutsche Tendenz hinzu. Gemeint ist jene moderne Form der Deutschtümelei, die in unseren Medien sehr verbreitet ist. Das ist das ausgeprägte Bedürfnis, sich bei bevorstehenden Großereignissen im Ausland über nicht pünktlich oder qualitätsgerecht fertiggestellte Bauprojekte zu mokieren. Keine Olympiade, kein internationaler Kongress, egal ob Peking, Sotschi oder Rio, ohne Befürchtungen über Terminverzug, Mutmaßungen über Bauschlampereien oder Kritik an den Umweltstandards. Die hiesigen Medien wissen, wie man olympische Dörfer baut, den Verkehr organisiert und die Umwelt sauber hält. Dass zu Hause Großprojekte wie der Transrapid, Stuttgart 21 oder der Cargo-Lifter still und leise begraben werden oder vor sich hin dümpeln, scheint nicht so wichtig zu sein, wie die Verkehrsinfrastruktur in China oder Indien. Und über der Kritik an der Wasserqualität an der Copacabana kann man glatt die braune Spree vergessen. Nachbarn, Verbündete und Nichtverbündete lächeln über dieses deutsche Bedürfnis, zu belehren und den rechten Weg zu weisen. Man hätte nun annehmen können, dass diese Stimmen nach der Elbphilharmonie und der Pleite am Berliner Airport stiller geworden wären. Aber das ist nicht unbedingt der Fall. Schauen wir uns den Großflughafen noch einmal chronologisch an: Im Verlaufe der Jahre änderte sich nicht nur der Name. Aus dem Flughafen Berlin-Brandenburg-International (BBI) wurde der Flughafen Berlin Brandenburg „Willy Brandt“ (BER). Auch die Politiker, die den sogenannten ersten Spatenstich vollzogen, sind nicht mehr aktiv.  Die Cottbuser lasen vor zehn Jahren in der Lausitzer Rundschau: „Wirtschaftsverbände und Politiker sind sich weitgehend einig: Durch den BBI können in der Wirtschaftsregion Berlin-Brandenburg in den nächsten fünf Jahren bis zu 40.000 neue Arbeitsplätze in den verschiedensten Branchen entstehen. Heute schon hängen über 15.000 Arbeitsplätze direkt vom Luftverkehr der Berlin-Brandenburger Flughäfen ab.“ Die Hoffnungen waren groß. Auch die Cottbuser Kammern verkündeten sicher: „Der neue Flughafen hat sich bereits heute als Wachstumsmotor für die Region etabliert.“ Im Jahr 2012 war dann die Eröffnung des Flughafens vorgesehen. Die Frühbuchertickets der Urlaubsflieger lauteten schon auf den BER. Im Februar trudelten bei den Landräten und Bürgermeistern die Einladungen zur pompösen Eröffnung ein. Die hiesige Tageszeitung meldete: „Nur noch 100 Tage bis zur Flughafen-Eröffnung am 3. Juni: Der Zeitplan wird eingehalten, versichern die Betreiber. Dafür sind täglich 5.000 Arbeiter auf der Baustelle. Parallel läuft der Probebetrieb mit 10.000 Freiwilligen an 30 Tagen. Im April beginnt der Umzug. 4.000 Büros und 150 Geschäfte in Schönefeld sollen eingeräumt werden. In der Nacht vom 2. zum 3. Juni werden dann mit 6.000 Lastwagenfahrten die alten Flughäfen Tegel und Schönefeld zusammengelegt. Gefeiert wird mit einem Publikumsfest ‚Rund ums Terminal‘ am 12. und 13. Mai und der offiziellen Eröffnung am 24. Mai.“ Was konnte da noch schief gehen? Es ging schief: „Die Eröffnung des neuen Hauptstadtflughafens in Schönefeld wird völlig überraschend um mindestens zwei Monate verschoben. Der Starttermin 3. Juni lässt sich wegen Problemen mit dem Brandschutz im Flughafengebäude nicht halten“, hieß nach der Pressekonferenz am 8. Mai 2012. Für „Wowi“ war es „kein guter Tag“ und Platzeck war „stocksauer“. Aber: „Die Inbetriebnahme wird nun zu einem Termin nach der Sommerpause angestrebt.“ Inzwischen sind fünf Sommer vergangen. Es gab Rücktritte, Prozesse und Untersuchungsausschüsse. Man spricht wahlweise von Planungsfehlern und Korruption, alles Dinge, die man hier gern in Katar, Russland oder Brasilien verortet. Licht ins Dunkel käme, wenn folgende Frage beantwortet würde: Ist es denkbar, dass wenige Wochen vor der Fertigstellung, beim Verschicken der Einladungen im Frühjahr 2012 zur Eröffnung, nicht bemerkt wurde, dass noch Arbeit für weitere fünf Jahre oder mehr bleibt? Oder hatte man die Sache nicht mehr so ganz ernst genommen, weil nach dem Maja-Kalender für 2012 der Weltuntergang geplant war? Fragen über Fragen!


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