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Danke für nichts

Foto: pixabay

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Hallo, altes Jahr 2021, erinnerst du dich? Vor genau einem Jahr hatte ich hier an dieser Stelle einen (wie ich finde, wirklich netten) Brief an dich geschrieben, mit der Bitte, dass du wesentlich besser wirst als 2020, dein/e Vorgänger*in. Jenes erste Corona-Jahr zu bilanzieren, hatte ich mir verkniffen, weil ja so viel Positives nicht zu sagen war. Deshalb hatte ich dich gebeten, besser zu werden. Ach was, wieder normal zu werden, mehr wollte ich gar nicht. Erinnerst du dich? Doch was machst du? Haust direkt noch eins drauf, indem du mit einem fetten Lockdown bis Anfang Mai gestartet bist. Machst mit deiner Delta-Variante im Jahresverlauf alles noch viel schlimmer und legst jetzt zum Schluss, quasi als Krönung deines Abgangs, mit »Omikron« gleich noch ein weiteres Schreckensszenario obendrauf. Und wenn ich schon dachte, mit diesen neuen Begriffen wie Absonderung für »Bleib zu Hause«, Kontaktperson I und II, Verdachtsperson, Inzidenzwert oder Herdenimmunität wäre es getan, kamst du uns mit Booster und Impfdurchbruch, Quellkontakt, Lockdown light und Bundesnotbremse – wahrlich ein Wortschatz, den kein Mensch braucht. Dazu zähle ich auch 2G und 3G. Wo sind wir hingeraten, dass eine Zahl und ein Buchstabe  eine ganze Gesellschaft trennt? Dass unsere Zeitrechnung in Wellen unterteilt ist? Dass Glühweinstände immer noch Hochrisikogebiete und trennende Acrylscheiben an der Einkaufskasse Normalität sind? Wenn ich so überlege, was ich dir, Jahr 2021, eigentlich an Positivem abgewinnen kann, dann fällt mir nicht so viel ein, außer dass du uns einen relativ entspannten Sommer mit relativ normalen Reisemöglichkeiten beschert hast. Und vielleicht ist das, was wir jetzt in deinen letzten Tagen erleben dürfen, halt der Preis dafür, den wir zahlen müssen. Ein schlechter Deal, würde ich sagen. Okay, das mit dem Homeoffice ist auch nicht so schlecht gelaufen, wie anfangs befürchtet und positiv daran war, dass wir technische Möglichkeiten an unseren Laptops entdeckten, die wir sonst eher nicht ausprobiert hätten. Ein schwacher Trost, gebe ich zu. Wäre es nicht so traurig, dann könnte ich sogar darüber lachen, was dich von 2020 unterscheidet: Es sind die Masken. Schau dir mal die Fotos an: 2020 trugen wir bunte, witzige, mit Strass-Steinchen verzierte und anfangs oft selbstgenähte Stoffteilchen. Aber du musstest sie ja aussortieren und brachtest uns dafür die medizinischen und die FFP2-Masken. Und ich brauche keine Hellseherin zu sein, um zu ahnen: Wenn ich mir in ein paar Jahren Fotos ansehe, dann wird 2022 das Jahr sein, wo wir nur noch FFP2 tragen. Um das also noch einmal zusammenzufassen: Nette Menschen zu umarmen ist immer noch besser, als dieses unsäglich doof aussehende Faust-, Ellbogen- oder Fußanschlagen. Volle Sportstadien und Clubs sind besser als leere und geschlossene.  Kultur in Präsenz und in schicker Kleidung ist tausendmal besser, als irgendein Stream in Jogginghose auf dem Sofa. Ein Abend im Lokal endet normalerweise nicht um 20 Uhr. In fremden Betten zu schlafen und dafür eine Gebühr bezahlen (früher nannte man das Hotelübernachtung oder Ferienwohnung buchen), ist eine feine Sache. All das, liebes Jahr 2021, hatte ich mir von dir gewünscht. Nur ganz wenig davon ging für kurze Zeit in Erfüllung. Und deshalb wende ich mich jetzt ziemlich enttäuscht von dir ab und zart hoffnungvoll deiner/m Nachfolger*in zu. Mögen wir 2022 erwachen aus diesem Film »...und täglich grüßt das Murmeltier«, möge Vernunft und Augenmaß ein- und Panikmache, Alarmismus und Aktionismus ausziehen. Mögen wir alle wieder gelassener und ein wenig freundlicher werden, so wie wir früher alle mal waren. Wir Sachsen sind ja an sich kein aggressives, sondern eher ein ziemlich gemütliches Völkchen.  Und bitte, neues Jahr, komm gar nicht erst auf die Idee, uns Megabooster, Superbooster und sechste Welle zu bescheren. Es reicht! Herzlichst Carola Pönisch


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