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Tagebau Turów: Zittau legt Beschwerde ein

Die Stadt Zittau legt wegen der Fortführung des Tagebaues Turów Beschwerde bei der Europäischen Kommission wegen Nicht-Einhaltung von EU-Recht ein und übt deutliche Kritik an der Vorgehensweise polnischer Behörden.
Kraftwerk Turów. Foto: T. Keil

Kraftwerk Turów. Foto: T. Keil

Bereits im März 2020 hatte die Stadt Zittau Widerspruch gegen die Fortführung des Tagebaues Turów eingelegt. Im Oktober 2020 wurde im Zittauer Rathaus die wissenschaftliche Studie des Geologen Dr. habil. Ralf E. Krupp vorgestellt, die zeigte, dass ein Fortführen des Tagebaues Turów (PL) in seiner geplanten Form deutlich größere Auswirkungen auf das Leben in der Stadt Zittau haben könnte, als bisher durch die Betreibergesellschaft dargestellt. Passiert ist seitdem wenig. Deswegen geht die Stadt nun den nächsten Schritt und legt Beschwerde bei der Europäischen Kommission ein. Der Stadtrat unterstützt das Vorgehen mehrheitlich. „Wir sehen uns dazu gezwungen, weil wir auf dem bisherigen Weg der Umweltverträglichkeitsprüfung nicht korrekt behandelt wurden“, so Zittaus Oberbürgermeister Thomas Zenker. „Wir haben den deutlichen Eindruck, dass die polnischen Behörden und der Vorhabensträger das Europäische Recht bewusst nicht ernst nehmen.“ Es sei sehr bedauerlich, dass man so vorgehen müsse. Und manch einer befürchte, dass daraus ein Schaden für die gewachsene gute regionale Zusammenarbeit entstehen könnte. „Wir sehen das aber anders: Grundlage für ein gutes Miteinander sind klare und gemeinsam getragene Regeln. Als Zittauer Stadtrat und Oberbürgermeister haben wir die Pflicht und Verantwortung, für die Zukunft unserer Stadt und Region und ihrer Einwohner zu sorgen“, sagt OB Zenker.

Was ist das Ziel der Beschwerde?

Mit der Beschwerde bei der EU-Kommission will Zittau eine erneute rechtliche Überprüfung der Tagebaugenehmigung erreichen. „Wir brauchen die Unterstützung der Europäischen Ebene. Die Situation muss nochmals klar geprüft und bewertet werden und andererseits brauchen die Region und die Menschen um Turów eine Perspektive, wenn sich Polen in der aktuellen Diskussion zu einem klaren Ausstiegsszenario verständigt. Das wäre im Just Transition Fonds möglich, ist aber nach unseren Informationen bislang noch nicht für unsere Nachbarregion vorgesehen“, sagt OB Thomas Zenker.

Was sind die Gründe für die Beschwerde?

Die Gründe für die Beschwerde bei der Europäischen Kommission sind vielfältig: Eine ganze Reihe ursprünglicher Bedenken bezüglich Feinstaub und Lärm seien bisher nicht ausgeräumt. Gleiches gilt für Bedenken sächsischer Behörden zur Grundwasserthematik, zu Bodenbewegungen und der Gewässerqualität der Neisse. Es fehlen verwertbare Daten. Dazu kamen im Oktober 2020 die Erkenntnisse aus dem Gutachten von Dr. Krupp. Es gibt bisher keine Klarheit, was nach dem Tagebau an konkreter Rekultivierung geschehen soll. Hier sind aus Zittauer Sicht noch viele Fragen offen, während die Bagger längst weiterlaufen. Im Januar 2020 war die Stadt mit einem Schreiben aus Polen darüber informiert worden, dass die Pläne zur Erweiterung des Tagebaus genehmigt wurden. Das kam auch deshalb überraschend, weil zu diesem Zeitpunkt in Sachsen noch ein Umweltverträglichkeitsverfahren lief. Zittau legte daraufhin im März 2020 Widerspruch gegen die völlig überraschende Genehmigung des Regionaldirektors für Umwelt in Wroclaw zum Weiterbetrieb des Tagebau Turòw ein. In der Stadtverwaltung zweifelt man, ob die Belange der Stadt überhaupt berücksichtigt wurden. Die angegebenen Maßnahmen seien „weder plausibel noch angemessen und führen ihrerseits zu neuen, bisher nicht betrachteten Umweltauswirkungen“, heißt es aus der Stadtverwaltung. Als Beispiel wird eine geplante Aufschüttung einer Abraumhalde von über 1000 Metern Länge und ca. 50 Metern Höhe über dem natürlichen Gelände entlang der Neisse genannt. Die ist als Lärmschutzmaßnahme gedacht, sei aber völlig unangemessen. Nach dem Widerspruch gegen die Fortführungspläne des Tagebaues im März kam die im Auftrag der Frank Bold Society und Greenpeace Deutschland entstandene und im Oktober 2020 veröffentlichte Studie des Geologen Dr. habil. Ralf E. Krupp zu dem Schluss, dass von den Bergbauarbeiten erhebliche Risiken für die Stadt Zittau und die umliegenden Ortschaften ausgehen werden. Neben einer zu erwartenden langwierigen Belastung mit sauren Grubenwässern stehen vor allem Grundwasserabsenkungen, Bodensenkungen im Zittauer Stadtgebiet von bis zu 1,2 Metern und im schlimmsten Fall ein Durchbruch der Neiße in das Tagebaugebiet in dem erarbeiteten Papier. Zittaus Oberbürgermeister Thomas Zenker hatte die Studie von unabhängigen Fachleuten auf Plausibilität prüfen lassen, die die darin geäußerten Bedenken bestätigten. 

Tschechien hat bereits geklagt

Auch Tschechien geht gegen den weiteren Ausbau und die Verlängerung des Braunkohletagebaus vor. Am 17. Dezember hatte die Europäische Kommission im Vertragsverletzungsverfahren der Tschechischen Republik gegen die Republik Polen festgestellt, dass Polen die Richtlinie über die Umweltverträglichkeitsprüfung und die Richtlinie über den Zugang der Öffentlichkeit zu Umweltinformationen nicht europarechtskonform umgesetzt hat. Europaministerin Katja Meier sagte im Dezember: »Die Erweiterung des Tagebaus, wie von polnischer Seite derzeit vorgesehen, führt zu erheblichen grenzüberschreitenden Umweltschäden auf tschechischer und deutscher Seite. Gerade die nachteiligen Auswirkungen auf den Wasserhaushalt werden erheblich sein. Den tschechischen Vorstoß für die Einhaltung europäischer Umwelt- und Umweltinformationsrichtlinien vor dem Europäischen Gerichtshof begrüße ich daher nachdrücklich. Unser Ziel ist eine einheitliche Anwendung europäischen Umweltrechts durch alle Mitgliedstaaten der EU. Dies liegt auch im ureigenen Interesse des Freistaates Sachsen. Die Bundesregierung sollte jetzt die Tschechische Republik als Streithelfer unterstützen.« Klimaschutzminister Wolfram Günther bezeichnete die Erweiterung des Tagebaus als „ein fatales Signal für die Erreichung der europäischen Klimaziele“. Angesichts der Einigung der 27 Staats- und Regierungschefs auf dem EU-Gipfel Mitte Dezember, den Treibhausgasausstoß bis zum Jahr 2030 um 55 statt 40 Prozent im Vergleich zu 1990 zu senken, wirke die Genehmigung wie aus der Zeit gefallen.


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