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Was macht kleinere Städte attraktiv?

Wie können Klein- und Mittelstädte bei Kreativen, Freischaffenden und jungen Familien punkten? Diese Frage wurde in den vergangenen Jahren bei einem Projekt in Görlitz untersucht.
Das Probewohnen fand im Zeitraum von Januar 2019 bis März 2020 in Görlitz statt. Foto: Keil

Das Probewohnen fand im Zeitraum von Januar 2019 bis März 2020 in Görlitz statt. Foto: Keil

Vier Wochen lang in Görlitz leben, kostenfrei Wohnung und Arbeitsräume nutzen und so die Stadt kennenlernen. Diese Chance bekamen insgesamt 62 Menschen beim Projekt »Stadt auf Probe«. Es richtete sich vor allem an Personen, die ortsungebunden arbeiten können, zum Beispiel Selbstständige und Freischaffende. Vor und während des Görlitz-Aufenthaltes wurde ein Teil der Teilnehmenden durch das Team des Interdisziplinären Zentrums für ökologischen und revitalisierenden Stadtumbau (IZS) wissenschaftlich befragt. Die Ergebnisse sollen dabei helfen, die Faktoren zu identifizieren, die kleinere Städte und Städte in peripherer Lage für erwerbstätige Menschen attraktiv machen und die die Anziehungskraft dieser Orte positiv beeinflussen. »Görlitz steht dabei stellvertretend für viele Städte, die mit Bevölkerungsrückgang kämpfen«, so Prof. Dr. Robert Knippschild, der Leiter des IZS. Die meisten Teilnehmer (70 Prozent) sind eigentlich in einer Großstadt mit mehr als 100.000 Einwohnern zu Hause. Positiv bewerteten die Befragten unter anderem das große Angebot an Wohn- und Arbeitsraum sowie vergleichsweise günstige Mieten. Auch Stadtbild, kurze Wegen, gute Versorgung mit Dingen des täglichen Bedarfs, das Angebot an Parks und Grünanlagen, Kultur-, Freizeit- und Sporteinrichtungen und familienfreundliche Freizeitangebote wurden positiv beurteilt. Als Arbeitsstandort wusste die Neißestadt ebenfalls zu gefallen. »Die meisten der Teilnehmenden am Projekt sind in der Kultur- und Kreativwirtschaft tätig. Dass Görlitz viele Freiräume bietet, um sich kreativ zu entfalten und es bereits einige Initiativen und Netzwerke vor Ort gibt, wussten sie daher zu schätzen«, teilt das IZS mit. Mehr als die Hälfte der Befragten (53 Prozent) gab an, dass sie sich vorstellen könnte, nach Görlitz umzuziehen.

Wo muss nachgebessert werden?

Doch natürlich war nicht alles eitel Sonnenschein. So gibt es zwar deutlich mehr und günstigeren Wohnraum als in mancher Großstadt. Doch bei Sanierung und Ausstattung entsprachen die Angebote nicht immer den Wohnwünschen. Einige vermissten höherwertig sanierten und individuell gestalteten Wohnraum, andere unsanierte Wohnungen, die nach Erwerb individuell gestaltet werden können. Bei Gewerbe-, Arbeits- und Kreativräumen gebe es zwar ein großes Angebot, allerdings sei der Zugang teilweise schwierig. Die Befragten vermissten nötige Informationen, wie etwa einen Überblick über freie Objekte sowie Auskünfte zu Preisen, Ausstattung, Mietbedingungen und Ansprechpersonen. Generell empfahlen sie, die Möglichkeiten und Räume deutlich offensiver zu kommunizieren und damit für die Stadt als potenziellen Standort der Kultur- und Kreativwirtschaft zu werben.  Mit Blick auf das tägliche Leben in Görlitz gab es in den Interviews Kritik daran, dass in einer Stadt der kurzen Wege ausgerechnet in der historischen Innenstadt dem Autoverkehr sehr viel Raum gegeben wird. Ebenso vermissten die Befragten in der Altstadt die Möglichkeit, für den täglichen Bedarf einzukaufen. Insgesamt fokussierten Handel und Gastronomie in den Innenstadtbereichen zu sehr auf touristische
Angebote. Die Teilnehmer beantworteten aber nicht nur Fragen, sie brachten der Stadt vielfältige Impulse. So initiierten sie beispielsweise Ausstellungen, Workshops und begleitende Veranstaltungen. Seit Herbst 2019 gibt es in Görlitz auch einen Ableger der »Marktschwärmer«, einer Initiative, die die Vermarktung regional produzierter Waren unterstützt. Den Grundstein dafür legte eine »Stadt auf Probe«-Teilnehmerin. Mindestens fünf Haushalte haben sich nach ihrem Probeaufenthalt für den Umzug nach Görlitz entschieden.

Fortsetzung im Oktober

Ab Oktober soll das Projekt mit der »Stadt der Zukunft auf Probe« fortgesetzt werden. Im Zeitraum von anderthalb Jahren sollen dann 18 Haushalte für je drei Monate nach Görlitz kommen. Gesucht werden Teilnehmer, bei deren Arbeit das Hauptaugenmerk auf nachhaltiger Stadtentwicklung und Klimaneutralität liegt. Dazu sind verschiedene Arbeitsmodelle angedacht: Praktika in Unternehmen, wissenschaftliche Gastaufenthalte, Start-up-Aktivitäten bis hin zu Aufenthalten von freischaffenden Künstlern. Die Bewerbungsphase beginnt Ende April.


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