Birgit Branczeisz

Wenn KI auf Oma aufpasst

Dresden. Was kann man tun, damit Senioren länger in ihren eigenen vier Wänden bleiben können?
Maria Stange (85) wohnt nebenan und besucht Mathias Klingner (44) für dieses Gespräch in der Musterwohnung - in der übrigens von Senioren jederzeit zur Probe gewohnt werden kann.

Maria Stange (85) wohnt nebenan und besucht Mathias Klingner (44) für dieses Gespräch in der Musterwohnung - in der übrigens von Senioren jederzeit zur Probe gewohnt werden kann.

Bild: Branczeisz

Die Wohnung wirkt schlicht und modern - mit großem Bildschirm an der Wand, Ringsum-Lichtleiste, trendigem Interieur und Pflegebett. Wäre letzteres nicht, Jüngere würden wohl auch einziehen. Wir sind in einer Musterwohnung der HTW Dresden und das mitten in der Senioren-Wohnanlage Bühlau der Cultus gGmbH an der Bautzner Straße 108. Das Rondell besteht aus mehreren Häusern aus den 1920er Jahren, die alle zu einer Villa von 1895 gehören. Die wurde bereits damals als Alterssitz für Staatsbedienstete hergerichtet.

Viele Sensoren werden zu komplexen Systemen Mathias Klingner (44), seit 13 Jahren wissenschaftlicher Mitarbeiter an der HTW testet hier ganz praktisch, worüber viele nur reden: kognitive Robotik, Sensornetzwerke, künstliche Intelligenz, Deep Learning , Cyberphysik und digitale Ethik. Einfach gesagt: Was kann man tun, damit Senioren länger in ihren eigenen vier Wänden bleiben können? Und was muss man tun, um Pflege überhaupt noch zu organisieren, wenn immer mehr Fachkräfte fehlen?

Fast 13 Millionen Menschen gehen in den nächsten 15 Jahren in Rente. Auch Pflegekräfte und die reichen jetzt schon nicht. "Es gibt Pflegeheime, da sind nachts zwei Pflegekräfte für drei Etagen verantwortlich, haben aber demente, bettflüchtige Senioren. Soll ich Ihnen sagen wie da die hochqualitative Lösung aussieht: Es wird eine Nierenschale auf die Türklinke gelegt, damit überhaupt jemand merkt, wenn ein Bewohner aus dem Zimmer verschwindet. Dabei wäre ein Tür- oder Bettsensor die einfachste Sache der Welt - und lautlos", sagt Mathias Klingner.

Der Informatiker schüttelt den Kopf: "Wir sind meilenweit hinterher in Deutschland." Hier in Bühlau beschäftigt er sich vor allem mit Sensortechnik - und so ist die Lichtleiste eben ein mitlaufender Wegweiser, der Bildschirm dient nicht nur interaktiv dem Austausch mit dem Pflegedienst oder der Familie - er könnte auch in die Wohnung hineinschauen, Emotionen auf Gesichtern ablesen und darüber Bericht geben. Eine Technik, die noch nicht ganz zuverlässig ist, gibt Klingner zu und die er auch nicht überall gern sehen würde.

Anderes scheint harmloser: Am Laptop zeigt Klingner, was der helle Fußboden verbirgt. Den Sensfloor darunter, der anzeigt, wo sich eine Person befindet, wo sie läuft oder ob sie gestürzt ist - dann leuchtet ein rotes Quadrat auf, was sofort an die Pflege gemeldet wird. Der Bewohner ist also selbst dann rufgesichert, wenn er bewusstlos ist. Der Sensorfußboden erstellt aber damit unweigerlich Bewegungsprofile, komplette Tagesabläufe, und genau das soll er auch.

"Das klingt jetzt erst mal gruselig, aber man muss das um die Ecke denken", erklärt Klingner. "Bestes Beispiel ist Demenz. Die schreitet sehr lange voran, aber die wahrnehmbare Demenz kommt erst sehr spät. Dabei gibt es viele Anzeichen, eben z.B. dass sich Tagesrhythmen plötzlich ändern. Wenn wir den Leuten über einen längeren Zeitraum zuschauen, erkennen wir das früher und können helfen." Selbst wenn der Bewohner schläft, gibt es Daten: vom Pflegebett. Das misst, wie sich der Mensch nachts bewegt, in welcher Schlafphase er gerade ist.

Es gibt schier für alles Sensoren: Hat der Mensch seine Medikamente genommen, ausreichend getrunken, sind Fenster geschlossen, ist die Heizung reguliert? Vermieter und Mieter für das Thema sensibilisieren Bei den Dresdner Immobilientagen von Reppe & Partner Immobilien will Klingner Hausbesitzer für das Thema sensibilisieren. Es muss ja nicht gleich ein Sensorfußboden sein, es wäre schon ein großer Schritt Wohnungen mit Sensor-Boxen auszustatten oder Smart-Home für Senioren. "Wir müssen uns einfach damit beschäftigen", sagt Mathias Klingner.

"Möchten Sie so überwacht werden?", frage ich. "Werden wir doch längst, per Videoüberwachung im öffentlichen Raum, in der Straßenbahn, im Zug, Telefonate werden punktuell abgehört durch Rasterfahndung. Google weiß wo wir sind, jeder Gang ins Netz verrät etwas über uns. Wir sind schon heute gläsern - das ist tatsächlich eine drängende politische Frage, aber die lösen wir nicht dadurch, dass wir die Technik ablehnen, die geht nicht mehr weg", ist er überzeugt.

Dresdner Immobilienabend (Teilnahme auch online möglich, bitte Link bei Reppe & Partner anfordern): "KI für Senioren" mit Mathias Klingner am 18. April, 18 Uhr, in der Pfotenhauer Straße 45 bei Reppe & Partner Immobilien.


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