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André Schramm

Voll auf Ärger programmiert

Der „riesa efau“ bietet neuerdings Kurse zum Entärgern. Richtig gehört: Ent-ärgern. Zehn Euro teuer, drei Stunden Zeit. Ein gutes Investment in die eigene Persönlichkeit und vielleicht in ein selbstzufriedeneres Leben, sofern man sich traut.
Nur mit einem halben Ohr hingehört: Im Feierabend gehen besonders oft Informationen verloren, weil der „Speicher“ des Partners voll ist. Das Entärger-Seminar erklärt auch, was man in dieser Situation tun kann bzw. wie sie zu vermeiden ist. Foto: Olly/Fotolia.com

Nur mit einem halben Ohr hingehört: Im Feierabend gehen besonders oft Informationen verloren, weil der „Speicher“ des Partners voll ist. Das Entärger-Seminar erklärt auch, was man in dieser Situation tun kann bzw. wie sie zu vermeiden ist. Foto: Olly/Fotolia.com

Man könnte sich darüber aufregen, dass sich Leute zu einem Seminar anmelden und dann nicht kommen. Nicht einmal absagen. Man kann es aber auch lassen, so wie Referent Stephan Kays, der an diesem Nachmittag eben mit dem arbeitet, was spontan Weg zum Entärgern gefunden hat. Warum bin ich eigentlich hier? In einer Stadt, in der viele Menschen offenbar viel Ärger mit sich herumtragen, der sich dann regelmäßig konzentriert entlädt, bedarf es vielleicht ungewöhnlicher, neuer Wege, den ganzen Frust mal kontrolliert zu entsorgen. Soweit zum dienstlichen Interesse. Privat bin ich natürlich auch hin und wieder schlecht drauf, weil mir Vordrängler auf der Straße, die schlechte Laune im Netz, die Bestandskundenmentalität im Lande und viele anderen Dinge auf den Geist gehen. Schritt 1: Es ist wichtig zu wissen, was einen auf die Palme bringt. Sammeln Sie, gern auch schriftlich! Wir wollen gefallen Um wen geht es eigentlich? Um Sie! Kays erklärt das an einem ziemlich plakativem Beispiel. „Sie sind für zehn Uhr beim Arzt bestellt, sitzen trotzdem zwei Stunden sinnlos rum, werden ohne Not erst richtig krank“, sagt er. Wie die Geschichte in 99 Prozent der Fälle endet, weiß er auch: „Halbgott in Weiß bittet Sie rein und alles geht seinen gewohnten Gang.“ Halt, Stopp!   „Haben Sie sich mal gefragt, mit welchem Recht der Mediziner so über ihre Zeit verfügt“, fragt er. So wie Kays das erzählt, tatsächlich ganz schön unverschämt vom Doc. Wir wollen anderen entweder gefallen oder eben nicht aus der Reihe tanzen, schlucken Ärger also runter. Die Gesellschaft und unsere Schubladen im Kopf haben klar geregelt,  wie in welchen Situationen zu verfahren ist.  Das geht schon im Kindesalter los, funktioniert ganz automatisch in Rekordzeit und unterbewusst, sofern man bei allen Sinnen ist. Ärger versaut uns allerdings nicht nur den Feierabend, sondern ist auch Nährboden für Krankheiten. Ärger schmälert unsere Lebenserwartung. Kurzum: Ärger tut uns nicht gut. Was also tun? Negatives abschütteln, wenn's geht Wir bleiben in der Praxis.. „Welche Motivation sich zu ändern hat ihr Arzt, wenn Sie das Spiel immer wieder mitspielen“, fragt der Trainer. Die Antwort ist alternativlos. „Sprechen Sie Dinge an, die Ihnen nicht gefallen, versuchen Sie sich negativen Situationen / Personen zu entziehen.“ Leichter gesagt als getan, wenn der Chef ein Arschloch ist und man jeden Tag an seinen Schreibtisch zitiert wird. „Dann sorgen Sie für Ausgleich an anderer Stelle. Tun Sie etwas, das Ihnen gut tut“, lautet verkürzt Lektion Nummer 2. Erregungstreppe im Auge behalten Entärgern ist quasi nichts anderes als Dinge, die uns wirklich nerven zu benennen und neu zu bewerten.  Ist das mein Thema? Kann ich es ändern? Wenn ja, wie? Bringt mich ärgern in dieser Situation überhaupt weiter? Alles Fragen, die in diesem Zusammenhang eine Rolle spielen. „Veränderung kostet Mut, aber auch Energie, vor allem aber Geduld“, meint Kays. Er wirft bei der Gelegenheit ein Diagramm an die Wand, eine „Erregungstreppe“. Viele kleine Stolpersteine im Tagesverlauf sorgen dort für einen steigenden Kurvenverlauf bis zum Super-GAU. Der Experte nennt den Zustand „Verlust der Handlungskompetenz“, ein Stadium, in dem nichts mehr geht. Diese Grenze hat jeder (schon mal überschritten). Der Gefühlszustand des oft zitierten Wutbürgers? „Entgegnen Sie ihm doch mal unerwartet. Das sorgt zunächst für Irritationen und im weiteren Verlauf vielleicht für ein ganz normales Gespräch“, rät Kays. Dass man den kritischen Bereich vermeiden kann, erzählt er auch. Radfahren, Rennen, Bewegung im Allgemeinen  sei die beste Medizin den Stresspegel abzubauen und damit Ärger vorzubeugen. Das Seminar bietet unter dem Strich eine gute Gelegenheit, den Autopiloten, der unser durch's Leben steuert, einmal kritisch zu hinterfragen oder gar abzuschalten.       


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