Uwe Schieferdecker/ck

Großreinemachen in der Guten Stube

Dresden. Der Altmarkt entstand im Zuge der Stadtanlage um 1200 und ist damit der erste und älteste Platz von Dresden. Traditionell gilt er als »Wohnzimmer« der Stadt.

Kein Wunder also, dass die umfänglichen Baumaßnahmen das Herz der Dresdner bewegen. Zumal die letzte grundhafte Umgestaltung im Zusammenhang mit dem Bau der Tiefgarage gerade einmal 15 Jahre her ist. Verschwanden 2008 die Autos vom Platz, wird sich nach der geplanten Fertigstellung Ende Oktober 2023 scheinbar wenig verändern. Insgesamt 20 Trompetenbäume zieren künftig die Ost- und Westseite vor der Bebauung der 1950er Jahre. Sie sollen Schatten spenden und das Stadtklima günstig beeinflussen.

»Und dafür geben die über elf Millionen Euro aus?«, mag Volkes Stimme klagen. Kräftig leiden mussten seit April 2022 die Gewerbetreibenden rings um den Altmarkt. Pünktlich zum diesjährigen Striezelmarkt soll dann alles vergessen sein. Und bei Deutschlands ältestem Weihnachtsmarkt werden auch die Vorteile der Neugestaltung spürbar. Einerseits wurden alle unterirdischen Medien so erneuert, dass die Buden nunmehr ohne die üblichen Stolperfallen im Weg direkt mit Wasser und Strom versorgt werden können. Apropos Stolpern: Das neue Granitpflaster ist glatt geschnitten und somit für Kinderwagen und Rollatoren wesentlich besser zu bewältigen.

 

Ständig im Wandel

 

In über acht Jahrhunderten hat der Dresdner Marktplatz sein Gesicht regelmäßig verändert. Während der ersten 500 Jahre stand auf der Nordwestseite das Rathaus der Bürgerstadt. Hervorgegangen war es aus dem Kaufhaus der Gewandschneider. Seit dem 16. Jahrhundert nutzte der Hof den Altmarkt für Feste und Spiele, daher war das direkt auf dem Platz stehende Gebäude dem jeweiligen Kurfürsten ein Dorn im Auge. 1707 ließ August der Starke das im Kern mittelalterliche Rathaus kurzerhand abreißen. Dass er sich damit keine Freunde unter den Bürgern machte, ist nachvollziehbar und belegt. Notgedrungen kaufte der Rat auf der Westseite mehrere Bürgerhauser an, die abgebrochen und nach 1740 von Johann Gottfried Fehre durch den Neubau des Altstädter Rathauses ersetzt wurden.

Die Grundmauern des mittelalterlichen Rathauses traten 2007 beim Bau der Tiefgarage zutage. Der Investor ließ sie eilig abräumen. Bei der aktuellen Neugestaltung wird der Grundriss des Gebäudes im Pflaster durch eine Färbung in der Platzfläche nachvollziehbar gemacht.

Um 1900 war der Stadtgrundriss noch weitgehend mittelalterlich. Das war besonders problematisch, galt doch die Einmündung der Schloss- und der Wilsdruffer Straße im Nordwesten als verkehrsreichste Kreuzung Dresdens. An der Ecke stand die traditionsreiche Löwenapotheke, wie das benachbarte Rathaus ein Bauwerk Fehres. Der qualitätvolle Bau mit dem schönen Erker schnürte die Wilsdruffer Straße auf ganze neun Meter Breite ab. Obwohl sich der Verkehrspolizist Wapnik – der baumlange Kerl galt als ein Dresdner Original – redlich mühte, war das Verkehrsaufkommen von Kutschen, Fahrrädern, Straßenbahnen und Passanten nicht zu bändigen. Stadtbaurat Hans Erlwein kam 1913 die unangenehme Aufgabe zu, die alte Apotheke abzureißen und durch einen sehr qualitätvollen Neubau zu ersetzen. Das meisterte er mit Bravour, weh tat ihm der baukulturelle Verlust trotzdem.

 

Wiederaufbau nach 1945

 

1945 fiel der Altmarkt dem Bombenhagel zum Opfer. Bei der Neubebauung ab 1953 scheute die Stadt den Aufwand des Abbruchs der soliden Kellergeschosse und rückte die Fronten kurzerhand hinter die ehemaligen Gebäude. Dadurch verlor der Altmarkt von der schieren Größe her seinen Charakter als Wohnzimmer der Stadt. Immerhin verwendeten die Baumeister Sandstein und Putzfassaden, setzen der Westfront kurzerhand eine Laterne in der Art des Altstädter Rathauses auf und nahmen Erlweins Laubengang von der Löwenapotheke auf. Seit 1969 füllt der Kulturpalast die Nordfront des Platzes. Nicht ausgeführt wurde das geplante Haus des Lehrers auf der Südseite. Erst 2010 – also 65 Jahre nach Kriegsende – wurde der Altmarkt mit dem Geschäftshaus an Stelle des Kaufhauses Renner wieder baulich geschlossen.


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