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Birgit Branczeisz

Freitags geht Wilhelm auf Arbeit

Dresden. Die Universitätsschule Dresden schickt ihre Schüler einen Tag in der Woche zum Arbeiten - das ganze Schuljahr.
Wilhelm (13) bekommt von Robin Laue (23) einen ersten Einblick wie eine Spedition funktioniert.

Wilhelm (13) bekommt von Robin Laue (23) einen ersten Einblick wie eine Spedition funktioniert.

Bild: Branczeisz

Freitags geht Wilhelm auf Arbeit. Er ist 13, besucht die Universitätsschule Dresden und hat einen Praxistag in der Woche – ein ganzes Schuljahr. Während viele Neuntklässler zum ersten Mal ins Leben schnuppern – und das nur 14 Tage – geht die Unischule einen anderen Weg und schickt ihre Schüler raus ins Leben. Wir besuchten Wilhelm deshalb an seinem dritten Werktag bei der Spedition Emons, um mehr über diese außergewöhnliche Schulform zu erfahren.

Zuerst natürlich die Frage: »Was machst du gerade, Wilhelm?« – »Ich bin im Service, kann hinter die Kulissen einer großen Spedition schauen. Letzte Woche war ich in der Disposition, Lkw-Nummern sortieren, Standorte eingeben und ändern.« Katrin Kropp, Assistentin der Niederlassungsleitung: »Wo sind die Lkw und warum? Das ist gar nicht so einfach zu erklären«. Mit 23 mitten im Beruf Die Welt der Logistik Siebt- und Achtklässlern über Monate näher zu bringen – das fordert die Firma, da reicht es nicht, die Schüler »etwas« machen zu lassen, da braucht es einen didaktischen Plan.

Aufgestellt hat ihn u.a. Robin Laue. Er ist ein früherer Montessori-Schüler. Jahrgangsübergreifendes Lernen und Themen so zu lernen, wie sie sich ergeben, das kennt er. »Schließlich lernen im Leben auch nicht alle alles zur gleichen Zeit und auf gleiche Weise«, sagt er ganz selbstverständlich. Mit 23 – wenn andere überlegen, was mal werden soll – steht er als Qualitätsbeauftragter der Dresdner Niederlassung mitten im Beruf, verantwortet bei Emons mit die Ausbildung.

Aber wie finden Kinder diesen Zugang, zumal die meiste Arbeit aus Buchungen und Zahlenkolonnen besteht? »Ich lasse sie z.B. ein Puzzle von Europa anfertigen. Wer gehört nicht zur EU? Was fliegt im Frachtraum mit? Oder ich frage: Was wird denn in Deutschland produziert, von dem was du heute anhast?«, erzählt Robin Laue. »Und ich kann nicht erst googeln, wo welcher Ort liegt, wenn der Kunde anruft.«

Das hat auch etwas mit den Kollegen im Haus gemacht, erzählt Katrin Kropp. Die Kollegen haben zum Schulmodell »Unischule« nachgelesen, haben gefragt, auch die Schüler. »Uns ist aufgefallen, dass die Schüler total positiv von ihrer Schule sprechen und dass sie verstehen, wie diese Schule funktioniert. Das hatten wir nicht erwartet«, schildert Katrin Kropp ihren Eindruck. Die Mitarbeiter wiederum wissen, was sie erklären müssen, damit Wilhelm in der nächsten Abteilung den Anschluss findet. Die Schüler sind selbstbewusster – sich ihrer Grenzen bewusster und fragen ohne Scheu, weil sie dafür nicht mit Noten beurteilt werden.

Maria Neuland Agüero, Kommunikationsmanagerin der Unischule, lernt selbst bei diesem Versuch mit – das ist schließlich der Sinn, zu probieren, wie lernen besser gelingt. Das Praxisjahr der Jugendstufe 7./8. Klasse gibt es das zweite Jahr. Das Jahr ist in drei Semester aufgeteilt. So machen mehr Firmen mit. Zehn bis 15 Unternehmen sind inzwischen dabei, die Stadt Dresden mit der Staatsoperette und Bibliotheken, die Diakonie mit dem St. Joseph-Stift, Dienstleister wie Piepenbrock, Dachdecker, Fußpflege, alles querbeet. »Die Firmen sind Pioniere für eine vertiefte und sehr frühe Berufsorientierung und das erfordert Mut«, sagt Maria Neuland. PRALL heißt das Projekt bürokratisch: »praxisorientiertes Lernen am außerschulischen Lernort«.

Es folgt der Idee, dass 13- bis 14-Jährige in einer Phase sind, wo sie sich ausprobieren müssen. Sich erleben, das können die Unischüler auch alle fünf bis sechs Wochen für eine Woche in der »Jugendschule«, der alten Ziegelei in Prohlis. Hier heißt es für eine Gruppe, für alle kochen, Mengen berechnen, Rezepte erstellen, einkaufen und im Sommer Gemüse anbauen. Andere verfugen Mauern, wieder andere bauen Werkzeuge. Was will ich wirklich? Was dadurch entsteht, ist eine Bindung zu dem, was man tut und beizeiten ein Gespür dafür, welcher Platz im Leben der richtige sein könnte.

Das soll jeder herausfinden. Natürlich setzen Firmen wie Emons bewusst auf diesen persönlichen Weg der Mitarbeitersuche – aber selbst wenn jemand andere Wege geht, weiß er eher, wer er ist, als Schüler aus anderen Schulen. Ein Desaster ist die fehlende Berufsorientierung für Gymnasiasten. Während Fachoberschüler ab Klasse elf wenigstens in Langzeitpraktika gehen, besteht Studienberatung im Gymnasium oft darin, welcher Studienort toll wäre.

Mit dem Leben hat das nichts zu tun, entsprechend groß sind die Abbrecher-Quoten. An Gymnasiasten »heranzukommen«, das würden sich auch Firmen wie Emons wünschen. Und was hat Wilhelm schon erlebt? »Oh, ich war vorher bei einem Frisör und in einem Kindergarten, jetzt probiere ich mich hier aus.« Seine Chancen, dass er das Richtige für sich findet und damit auch glücklicher wird, stehen gut.


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