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Eggerts Ostwind –Weit hinten

Die Bürger spazieren aus der Stadt, es ist Ostern. Einer schwärmt: „Nichts Bessers weiß ich mir an Sonn- und Feiertagen, Als ein Gespräch von Krieg und Kriegsgeschrei, Wenn hinten, weit in der Türkei, Die Völker aufeinander schlagen. Man steht am Fenster, trinkt sein Gläschen aus Und sieht den Fluß hinab die bunten Schiffe gleiten; Dann kehrt man abends froh nach Haus, Und segnet Fried und Friedenszeiten". Hat Goethe, der Verfasser des Faust, in dem diese Zeilen vorkommen, damit die Friedenssehnsucht der Menschen besungen oder eine Karikatur des deutschen Spießbürgers geliefert? Bemerkenswert an dieser Szene ist jedenfalls, dass sie in einer vermeintlich mittelalterlichen Idylle angesiedelt, aber niedergeschrieben worden ist, als in Europa und an seinen Grenzen ausgedehnte Kriege tobten. Also – wie derzeit – nichts mit „Fried und Friedenszeiten". Wobei wir heute noch dazu mit der Tatsache konfrontiert sind, dass Reisende und Nachrichten aus „Weit hinten" nicht fünf Wochen nach Deutschland brauchen. Wir erleben Krieg und Kriegsgeschrei, wie das heißt, in „Echtzeit". Und, anders als Goethe und seine Zeitgenossen, überdies riesige Flüchtlingsströme vor der Haustür. Das hinterlässt das Gegenteil von Wohlfühlstimmung – Angst. Gegen deren Ursachen übrigens selbst „sichere Grenzen" nicht ankommen. Oder spaziert es sich hinter Stacheldraht angenehmer? Ihr Hans Eggert


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