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Eggerts Ostwind – Einheits-Dialog

Das in die Jahre gekommene Paar unterhält sich in einer Mischung von Hoch- und Südwestdeutsch, und zwar unüberhörbar für die Besetzer der Nachbartische: „Das ist wirklich ein schönes Städtchen", stellt die Dame fest, „diese schönen alten Gassen und Häuser". Der Herr löffelt in seiner deutsch-spanischen Suppe und stimmt zu: „Ja, wie das hier vor 1990 aussah. Da kannst du sehen, wo unser Geld geblieben ist..." Die Dame schweigt kurz und rührt dann an einem offenbar wunden Punkt: „Unser Geld? Ich hab schon damals gesagt, wir sollten uns hier was kaufen, aber das war dir ja zu gefährlich..." Er: „Hierher sind Milliarden von unsern Steuern gegangen. Außerdem hätten wir heute dauernd Ärger, an die Miete zu kommen. Das ist doch ein Fass ohne Boden." Sie gibt noch nicht auf: „Na denkst du, hier zahlen alle keine Miete?" Der Mann deutet auf seine Zeitung und zitiert eine Schlagzeile: „Ostdeutsche Vermieter klagen über Ärger mit Mietnomaden". Ende des Dialogs, der Kellner bringt den Hauptgang. Ich beschließe, mir diesen Artikel zu besorgen. Und lese anderntags den ersten Satz nach der Schlagzeile: „Vermieter im Osten sehen sich mit einer Entwicklung konfrontiert, die der Branche in westdeutschen Ballungsräumen seit langem Sorgen bereitet." Nun ja, der Osten, so hören wir rund um den „Tag der Einheit", habe noch immer einigen Nachholebedarf. Ihr Hans Eggert 


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