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Eggerts Ostwind – Abgekanzelt

Die älteren unter den Lesern dürften sich noch an diese Szene erinnern: Gerade war der Putsch gegen Michael Gorbatschow zusammengebrochen, da trat der Präsident und Parteichef vor's Parlament, um zu retten, was noch zu retten sei. Doch sein Gegenspieler Boris Jelzin verdrängte Gobatschow vom Mikrofon und kanzelte ihn, der neben dem Rednerpult stand, minutenlang ab. Eine vergleichbare Szene war jüngst während eines CSU-Parteitags zu beobachten: Kanzlerin und CDU-Chefin Angela Merkel hatte ihr Grußwort gesprochen, Horst Seehofer, der CSU-Chef, trat neben sie ans Mikrofon – und, ja, kanzelte sie ab. Schließlich hatte die Kanzlerin sich nicht zu dem bekannt, was die CSU-Barden in der Flüchtlingspolitik von ihr verlangten. Nun musste sie vor versammelter Mannschaft, zahlreichen Kameras und Mikrofonen die Folgen aushalten. Dass sie darüber gestaunt hätte, war aus ihrem Gesicht nicht abzulesen. Eher muss sie erschrocken und zunehmend wütend gewesen sein. Was sich Minuten später noch verstärkt haben mag. Sie verließ den Saal durch eine Seitentür – ohne Beifallskundgebungen und möglicherweise mit der Frage im Hinterkopf, was sie da gerade erlebt habe. Eine Spielart bayerischer Höflichkeit? Eine neue Stufe deutscher Debattenkultur? Oder eine politische Scheidung? Gorbatschow übrigens verlor alle seine Ämter kurz nach der oben beschriebenen Szene. Ihr Hans Eggert


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