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Carola Pönisch

Barber Angels: Wenn Engel Haare schneiden

Sie nennen sich »Barber Angels«, tragen Lederweste und scheren sich im wahrsten Sinne des Wortes um die Armut anderer Menschen: Friseure aus der ganzen Republik, die Obdachlosen und Bedürftigen kostenlos Haare schneiden und Bärte scheren und ihnen damit ein Stück Würde zurückgeben. Erstmals waren die Engel jetzt in Dresden.

Heiko, 47 Jahre alt und obdachlos, ist gut drauf und genießt sichtlich und hörbar den kleinen medialen Rummel um seine Person. Mit vier Kumpels ist er zum Haareschneiden in die Dreikönigskirche gekommen. Er strahlt, hält sein Gesicht in viele Kameras und fragt immer wieder, ob er denn nicht schick aussehe. Bettina (59) findet, so schön sei sie seit ihrer Hochzeit nicht mehr gewesen. Birgit (55) ist einfach nur glücklich, denn für gewöhnlich schneidet und färbt sich die EU-Rentnerin ihre Haare selbst. »Ich weiß gar nicht mehr, wann ich das letzte Mal beim Friseur war. Es ist einfach zu teuer«, sagt sie. Für den arbeitslosen Jan (42) ist das kostenlose Haareschneiden eine gute Gelegenheit und für Helen (32) ein richtig großer Schritt in Richtung neues Leben. Denn die junge Frau war über ein Jahr obdachlos, lebte mal hier und mal da, hat erst seit einer Woche eine neue Wohnung in Dresden-Reick und findet nun »in kleinen Schritten, Stück für Stück zurück ins geregelte Leben«, wie sie selbst sagt. Was könnte dazu besser passen als der neue Haarschnitt? Geschichten mit Gänsehautfaktor Es sind solche Geschichten, die den Barber Angels, den Haare schneidenden Engeln, immer wieder Gänsehautmomente bescheren. Wenn sie ihre Arbeit getan haben und in strahlende Augen und leuchtende Gesichter schauen. "Es gibt so besondere Fälle, die gehen uns echt unter die Haut, so emotional sind sie", erzählt Peter Mayer, Gründungsmitglied des Vereins und Friseurmeister mit drei Läden sowie 18 Mitarbeitern in Friesenheim (BaWü). "Wir haben es tatsächlich geschafft, dass eine junge Frau von uns nicht nur ein schickes Äußeres, sondern tatsächlich auch wieder einen Job und eine eigene Wohnung bekam, so dass auch ihre Kinder wieder bei ihr leben können. Besonders tragisch findet er dass, dass inzwischen 30 bis 40 Prozent der Kundschaft, die zu den Barber Angels kommen, Rentner in Altersarmut sind. "Ich erinnere mich an den Fall einer alten Dame, 85 Jahre alt, sie fünf Kinder großzog. Sie lebt allein, nur von einer kleinen Witwenrente und kann sich kaum etwas leisten. Das macht mich schon sehr betroffen."  Helfen mit Kamm und Schere »Wir können vielleicht nicht so viel Geld spenden wie andere, aber wir können mit Kamm und Schere so vielen Menschen ihr Gesicht, ihre Würde wiedergeben«, sagt Claudia Mihaly-Anastasio, Friseurmeisterin aus Freital und seit einem Jahr aktiv mit den Barber Angels bundesweit unterwegs. Zum ersten Einsatz in Dresden hat sie gleich ihr gesamtes Friseurteam mitgebracht. Und große Pläne, denn sie will das sächsische Barber-Angel-Netzwerk aufbauen. In Dresden soll es künftig aller drei, vier Monate solche Engel-Einsätze geben. Weitere sind in Leipzig, Chemnitz, Bautzen und Görlitz geplant. Die rund 70 Menschen, die von der Diakonie Dresden zur ersten Aktion am 20. Januar eingeladen waren, nahmen noch viel mehr als nur einen schicken Haarschnitt mit nach Hause. Neben Kaffee und Kuchen gab es gratis Kosmetikprodukte, gespendete Brillen und das Gefühl, wahrgenommen zu werden. Denn die Engel in ihrer Lederkluft sind eine coole Truppe, die Hemmschwellen gar nicht erst entstehen lassen. Über die Friseur-Engel Nach einer TV-Reportage über Obdachlose November 2016 entschloss sich Friseurmeister Claus Niedermaier aus Biberach an der Riß, mit Gleichgesinnten den Club "Barber Angels Brotherhood" zu gründen. Ein Jahr später war der Verein beim Registergericht Ulm als gemeinnützig eingetragen. Seither hat er 250 Mitglieder bundesweit und rund 150 Einsätze absolviert. Die Mitglieder zahlen 180 Euro Clubbeitrag und  ihre Reisekosten zu den Charity-Einsätzen aus eigener Tasche. Markenzeichen  der Engel ist die schwarze Kluft mit schwarzer Lederweste im Bikerstil. Wer ein Barber Angel werden will, macht zwei bis drei Einsätze auf Probe mit. Für das Chapter in Sachsen werden noch tatkräftige Friseure gesucht, Interessenten können sich bei Claudia Mihaly-Anastasio melden (www.b-a-b.club)


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