André Schramm

Unser Schatz!

Nach einer krimireifen Odyssee ist ein Teil des verschollenen Ratsschatzes nach Dresden zurückgekehrt. Der Schiffspokal "Goélette" wird demnächst im Stadtmuseum zu sehen sein.
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Mehr als 70 Jahre mussten die Dresdner auf diesen Augenblick warten: Die Goélette, ein Schiffspokal des Nürnberger Goldschmiedemeisters Tobias Wolff aus dem frühen 17. Jahrhundert, ist zurück im Dresdner Stadtmuseum. Das 37 Zentimeter hohe Prunkstück aus Gold und Silber verschwand 1945 zusammen mit 65 weiteren Exponaten aus dem Rathauskeller. BKA gab den Hinweis
Im März 2016 bietet der Bremer Kunsthändler Neuse den Pokal auf der TEFAF, der weltgrößten Messe für Kunst und Antiquitäten (Maastricht), zum Verkauf an. Verdeckte Mitarbeiter des Bundeskriminalamtes sind ebenfalls in den Hallen unterwegs und werden auf das als vermisst gemeldete Exponat aufmerksam. Einen Monat später stellt die Bremer Staatsanwaltschaft das Kunstobjekt sicher. Zwischen dem Stadtmuseum Dresden und der Galerie beginnen Juristereien, die schließlich in einem Vergleich enden. Dem Vernehmen wurden 150.000 Euro an die Bremer gezahlt. Die Ernst von Siemens Kunststiftung, Ostsächsische Sparkasse Dresden und andere halfen bei der Finanzierung. "Wir haben ein und ein Viertel Jahr dafür gekämpft", sagte Dr. Gisbert Porstmann, Direktor der städtischen Museen, sichtlich zufrieden. München - Schweiz -  London - Maastricht - Bremen - Dresden Wer sich an den Dresdner Kunstschätzen bediente, ist bis heute nicht genau bekannt. Im Verdacht stehen in aller Regelmäßigkeit die sowjetischen Besatzer. Ein Kommandeur der Roten Armee vermerkt am 10. Mai 1945 in seinem Tagebuch, dass in den Nächten davor in den Rathauskeller eingebrochen wurde. Zur damaligen Zeit war das Dresdner Rathaus für Zivilisten tabu. Erst im Februar 1946 musste der Magazinverwalter Paul König mit Erschrecken feststellen, dass der Großteil aus den Kellerräumen verschwunden war. Insgesamt werden heute noch rund 180 Kunstgegenstände des Stadtmuseums vermisst. Umfangreiche Recherchen zur Goélette reichen inzwischen knapp 60 Jahre zurück: Im Dezember 1960 wird der verzierte Schoner im Münchener Auktionshaus "Weinmüller" versteigert. Der Hinweis auf die Dresdner Provenienz fehlt. Die Sammlung des Konsuls Otto Bernheimer wird lediglich als Eigentümer angegeben. Der Schiffspokal wird ersteigert und verschwindet in der Schweiz für die nächsten 55 Jahre. Im Londoner Auktionshaus "Christie´s" bietet 2015 ein geheimnisvoller "distinguished Swiss gentleman" (vornehmer Schweizer Gentleman) den Pokal an. Die Versteigerung bleibt erfolglos. Dass das renommierte Auktionshaus die Herkunft nicht überprüfte, ist sicherlich fragwürdig. Die Goélette stand seit 2012 in der Datenbank "Lost Art" als vermisst. Im Nachkauf erwirbt die Bremer Galerie Neuse das Schiff und bietet es für 230.000 Euro auf besagter Messe in den Niederlanden an. Andere Objekte Zwei Becher aus dem Dresdner Ratsschatz tauchen 1950 in Frankfurt am Main auf. Eine Dresdnerin will sie verkaufen. Die beiden Gefäße gelangen 1956 zurück in die Heimat. In den 70er Jahren wird ein Abendmahlskelch zurückgegeben. In den USA wird vor wenigen Wochen ein weiteres Teil aus dem Ratsschatz entdeckt.  Ratsschatz? Jeder Ratsherr stiftete als Einstand eine Kostbarkeit, viele auch beim Ausstand. Bis ins 19. Jahrhundert war diese Zeremonie in vielen Städten üblich. Ein regelrechter Fundus aus Gläsern, Krügen, Ketten u.v.m häufte sich so über die Jahre an. 1891 wurde der Dresdner Ratsschatz ans Stadtmuseum übergeben. Der umfangreichste noch existierende Ratsschatz ist der Lüneburger. Er umfasst 34 Stücke und ist im Kunstgewerbemuseum Berlin ausgestellt. Die Goélette Bei dem Schiffspokal handelt es sich genau genommen um ein Trinkgefäß, das bei Trinkspielen oft Verwendung fand. Es soll die nächsten Tage einen würdigen Platz im Stadtmuseum finden. Ein zweites Exponat dieser Art wird noch vermisst. 


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