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André Schramm

Sachsen erfindet gitterlosen Haftraum

Zwischen vier und sechs Insassen bringen sich jedes Jahr in sächsischen Gefängnissen um. Die Justizbehörden im Freistaat haben darauf reagiert und einen bundesweit einmaligen Haftraum geschaffen.
Sachsens Justizminister Sebastian Gemkow im gitterlosen Haftraum. Die sächsischen Justizvollzugsanstalten sollen damit aufgerüstet werden. Bundesweit gibt es bisher nichts Vergleichbares. Foto: Schramm

Sachsens Justizminister Sebastian Gemkow im gitterlosen Haftraum. Die sächsischen Justizvollzugsanstalten sollen damit aufgerüstet werden. Bundesweit gibt es bisher nichts Vergleichbares. Foto: Schramm

 Der Weg in die Zelle führt durch eine Stahltür. Dahinter befindet sich eine weitere Tür aus Plexiglas. Linkerhand sind Sanitäranlagen aus Edelstahl zu sehen, weiter vorn ein »Bett« und obendrüber die Schwedischen  Gardinen, wieder abgeschirmt durch stoßfestes Plexiglas. Die Heizung ist im Boden integriert, Steckdosen sind abschaltbar. In diesem Haftraum gibt es so gut wie keine Möglichkeit, sich das Leben zu nehmen – höchstens am Handtuchhalter. »Dieser klappt aber weg, sobald die Belastung zu groß wird«, sagt Sebastian Gemkow, Justizminister von Sachsen.  Er steht  an diesem Vormittag zusammen mit Journalisten quasi im Prototyp des sogenannten »gitterlosen Haftraums«. Die Justizangestellten in der JVA Dresden nennen ihn »Präventions- und Sicherheitshaftraum«. Insgesamt 34 solcher Zellen soll es in Sachsens Justizvollzugsanstalten bald geben. Die Hälfte davon mit einer benachbarten Überwachungskabine, direkter Blick auf den Gefangenen inklusive.

Umdenken nach al-Bakr-Suizid

Seit dem Suizid des Terrorverdächtigen Dschaber al-Bakr in der JVA Leipzig vor zwei Jahren, so erzählt der Minister, sei viel passiert. Der Syrer hatte sich damals am Gitter der Zellentür stranguliert, offenbar in einer Kontrollpause. Die Behörden haben ihre Mitarbeiter inzwischen auf Schulungen geschickt, die Sicherheitsgruppen verstärkt und mehr Psychologen eingestellt. Auch das Übergabeprocedere vom Haftrichter über die Polizei bis hin in die Haftanstalt sei verbessert worden.  Eine weitere Konsequenz aus dem Selbstmord ist nun der gitterlose Haftraum. Kein leichtes Unterfangen im Bestandsgebäude und ganz ohne Blaupause. »Der neue Präventions- und Sicherheitsraum vereint zweierlei Vorteile. Er minimiert die Möglichkeiten des Gefangenen, sich selbst umzubringen, schützt aber gleichzeitig die Bediensteten vor Übergriffen«, erklärt Gemkow. In deutschen Gefängnissen gibt es für selbstmordgefährdete Insassen bisher u.a. den »besonders gesicherten Haftraum«. Das Problem in dieser Zelle besteht allerdings darin, dass der Insasse nur sehr kurze Zeit hier verweilen darf. Nicht so in der neuen Anti-Suizid-Zelle. Hier können Gefangenen mittel- bis langfristig eingesperrt werden. Einen Fernseher gibt es auch – hinter Plexiglas natürlich.

Mit dem Kopf gegen die Wand gesprungen

Doch wer legt eigentlich fest, ob ein Straftäter die Absicht mit sich trägt, selbst aus dem Leben zu scheiden? »Vor der Inhaftierung findet ein Gespräch zwischen dem Gefangenen und einer Psychologin statt. Bleiben danach Zweifel, dann werden in der Regel weitere Psychologen hinzugezogen«, sagt Gemkow. Natürlich sei das keine hundertprozentige Garantie. Es habe auch schon Insassen gegeben, die gegen die Wand gesprungen seien, jedes Mal mit dem Kopf voran. Eine Videoüberwachung in dem Raum gibt es bislang nicht, weil die gesetzlichen Grundlagen dafür fehlen. Wie Sachsens Justizminister erklärte, liege der Gesetzesentwurf dafür gerade auf dem Tisch. Jährlich gibt es in den sächsischen Gefängnissen vier bis sechs Suizide zu beklagen. Dieses Jahr ist das bisher »nur« einmal passiert. In der JVA Dresden sitzen derzeit zwei islamistische und ein rechtsradikaler Terrorist ein. 


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