

Wenn Herrmann Passerel, 93 Jahre alt, im flimmernden Licht der Abendnachrichten seinen Unterarm massiert, ahnt niemand, was sich unter der schmerzenden Schwellung verbirgt. Ein Granatsplitter, der nach siebzig Jahren den Weg zurück an die Oberfläche sucht, Symbol für ein Trauma, das nie ganz verschwand. Ein stiller Schmerz, der das Leben eines Mannes prägte, der das Reden nie liebte und das Erinnern selten zuließ.
Wolfgang Wiedland zeichnet in seinem Buch »Zwei Brüder – Zwei Kriege« ein eindrucksvolles Porträt zweier Brüder aus Kamenz, die, wie so viele Männer ihrer Generation, nicht zweimal, sondern doppelt vom Krieg gezeichnet wurden. Herrmann, der schweigsame Soldat, der die Schrecken des Gaskrieges im Ersten Weltkrieg überlebte und dennoch tief verwundet zurückkehrte. Ernst, der schwer verletzt von Bord eines Kriegsschiffes stieg, um später als Lokführer in Dresden ein Stück Stabilität zurückzugewinnen.
Der Dresdner Autor ist im (Un-)Ruhestand und war beruflich als Qualitätsingenieur mit Schienenfahrzeugen beschäftigt. Sein Roman basiert auf wahren Begebenheiten aus der eigenen Familiengeschichte. Wolfgang Wiedland sagt: »Es hat mich sehr bewegt, dass die beiden Männer zwei Mal in den Krieg ziehen mussten, das waren Helden ohne Heldentaten«.
Es sind tatsächlich keine Helden, die er beschreibt, keine Namen aus den Geschichtsbüchern. Es sind Männer aus dem Volk, Söhne einer Mutter, die mit fünf Kindern Hunger und Kälte trotzte und ihrer Familie ein Überleben ermöglichte. Ihre Kraft, ihre Liebe und ihr Durchhaltevermögen sind das unsichtbare Rückgrat dieses Romans.
Wiedland verschweigt nichts: Die Brutalität der Schützengräben, die lähmende Angst, die Sprachlosigkeit nach dem Krieg, die Entbehrungen beim Wiederaufbau, all das ist Teil dieser Familiengeschichte. Und doch erzählt er von Hoffnung, von Frauen, die Halt geben, von Brüdern, die einander stützen, von kleinen Münzen mit großer Bedeutung. Herrmann trägt die silberne englische Münze eines gefallenen Kameraden ein Leben lang bei sich, ein Talisman gegen das Vergessen, gegen den Tod.
Der epische Roman ist ein literarisches Erinnerungsstück, das die Schatten zweier Weltkriege auf das Leben einfacher Menschen wirft und zugleich zeigt, wie aus Trümmern leises Glück wachsen kann. In einer Zeit, in der kollektives Gedächtnis zu verblassen droht, gelingt es Wiedland, Vergangenes lebendig zu machen, mit Sorgfalt, Respekt und tiefer Menschlichkeit.
Ein Buch, das bleibt. So wie die Schmerzen in Herrmanns Arm, nur mit dem Unterschied, dass dieses Werk nicht schweigt, sondern spricht. Klar, ruhig und voller Würde.