

So herrschte im Dresdner Residenzschloss der Muff des Mittelalters, daran hatte das Aufhübschen des 700 Jahre alten Bauwerks 1889-1901 im Stil der Neorenaissance wenig geändert. In der Lokalpresse stand an der Spitze der Berichterstattung das Geschehen bei Hofe: Wer zum Mittagmahl geladen war, wo der König jagte und welche Orden er verliehen hatte. Von außen betrachtet wirkte das wohl pittoresk. Wer jedoch den seit dem Mittelalter gepflegten Zeremonien im katholischen Königshaus ausgesetzt war, für den war das Schloss eher ein Gefängnis als eine Lustbarkeit.
Im Sommer 1887 lernte die 16-jährige Erzherzogin Luise von Österreich auf Schloss Pillnitz den fünf Jahre älteren Prinzen Friedrich August von Sachsen kennen. Der Glanz der Dynastie gefiel der jungen Dame, die vorher Avancen des Enkels des brasilianischen Kaisers, Peter, oder des Fürsten Ferdinand von Bulgarien widerstanden hatte. 1891 heiratete sie den ältesten Sohn des sächsischen Kronprinzen Georg in Wien. Ihre formalen Pflichten erfüllte Luise bestens und gebar ihrem Gemahl Friedrich August sechs Kinder. Im Jahr 1902 starb König Albert kinderlos. Sein bereits 72-jähriger Bruder Georg folgte ihm auf den Thron, was dessen Sohn Friedrich August zum Kronprinzen machte.
Luise genoss die Privilegien bei Hofe, doch die gestrenge Hofetikette und das schwierige Verhältnis zur Schwägerin Mathilde machten der exzentrischen und instabilen Prinzessin das Leben schwer. Die Bevölkerung aber liebte die adrette Dame – der Dresdner Luisenhof oder die Konditorei Toskana tragen ihren Namen. Doch ihr Schwiegervater kanzelte sie ab: »Es ist ein Unglück, dass Du in unsere Familie gekommen bist, denn Du wirst niemals eine der Unsrigen!« Sie fühlte sich immer beobachtet, hatte keinen Vertrauten bei Hofe. Den fand sie in dem charmanten und intelligenten Sprachlehrer ihrer Kinder, dem Belgier André Giron.
Als Luise mit dem siebten Kind schwanger wurde, kamen Gerüchte über eine Vaterschaft des Lehrers auf. Affären waren damals bei Hofe zwar gang und gäbe – aber eben nur für Männer. Luise drohte die Abschiebung ins Kloster, der sie sich am 9. Dezember 1902 durch die Flucht nach Salzburg entzog. Dieser erste Skandal des europäischen Hofadels im 20. Jahrhundert beschäftigte landauf, landab die Gazetten. Bezeichnenderweise zitierte die Dresdner Presse jeweils Zeitungen in Berlin oder Wien, eine eigene Recherche zulasten des Königshauses trauten sich die Redakteure nicht zu.
König Georg sah sich kurz vor Weihnachten 1902 gezwungen, die Flucht der Kronprinzessin offiziell bekannt zu geben. Alle Feierlichkeiten bei Hofe wurden abgesagt. Ein »Eheirrungsprozess« vor dem Dresdner Sondergerichtshof endete am 13. Februar 1903 mit der Scheidung. Der vom Hof entsandte Direktor der Dresdner Geburtsklinik schloss im Angesicht der am 4. Mai geborenen Tochter Anna Monika, dass aufgrund der Ähnlichkeit mit Friedrich August auf den Kronprinzen als Vater zu schließen sei.
Im Juli 1903 wurde Luise der Titel Gräfin von Montignoso verliehen. Die folgenden Jahrzehnte führte sie ein unstetes Leben. Als verarmte Blumenfrau starb die einstige sächsische Kronprinzessin im März 1947 in Brüssel.