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Birgit Branczeisz

Drei Jahre auf ein Urteil warten

Dresden. Das Sozialgericht kann seinen Stau an Verfahren nicht abbauen. Warum?
Vizepräsident des Sozialgerichts Dresden, Dr. Hans von Egidy, Felicitas Kärgel Kommunikation, Richter Michael Schmitz.

Vizepräsident des Sozialgerichts Dresden, Dr. Hans von Egidy, Felicitas Kärgel Kommunikation, Richter Michael Schmitz.

Bild: Branczeisz

Kläger vor dem Dresdner Sozialgericht warten derzeit im Schnitt bis zu drei Jahre auf ein Urteil. Das nennt selbst der Vizepräsident des Sozialgerichts Dresden, Dr. Hans von Egidy, schlicht »verheerend«, weil damit vor allem Fälle gemeint sind, in denen es um Erwerbsminderung und Grundsicherung geht. Wie sich das für Betroffene anfühlt, mag jeder selbst beurteilen.

 

Stau ist geblieben

 

Selbst ein »Bescheid« – eine schriftliche Entscheidung des Gerichts – lässt bis zu 30 Monate auf sich warten. Seit 2021 ist die Dauer der Verfahren derart gestiegen, wie aktuelle Zahlen zeigen. Das verwundert umso mehr, als Hans von Egidy und Richter Michael Schmitz gleichzeitig analysieren, dass es durch Corona immer weniger Verfahren gegeben hat. Drastisch weniger. Warum ist das so? Weil die Behörden auf Repressionen verzichteten oder schlicht einiges »auf Eis« legten, wurde auch weniger geklagt. Das hat aber nicht, wie man meinen möchte, dazu geführt, den bis dato vorhandenen Stau an Verfahren abzubauen und heute deutlich besser dazustehen. Gingen 2019 beispielsweise noch 12.658 neue Verfahren ein, waren es 2022 nur noch 6.415. Trotzdem ist die Differenz zwischen anhängigen und erledigten Fällen weiter bei konstant 4.000 Verfahren geblieben.

 

Im Endeffekt bedeutet das, die Richter und Richterinnen kamen nicht hinterher, obwohl die Lage deutlich entspannter wurde. Doch woran liegt das? Hans von Egidy benennt klar den Grund hierfür: Das Gericht ist geschrumpft. In den letzten 2 Jahren wurden 12 Kammern geschlossen. Sprich von den 46 Richtern vor Corona sind noch 34 da. Und auch die arbeiten nicht alle in Vollzeit – nur 29 Richter sind in Vollzeit unter Vertrag. Das zieht nach sich, dass in vielen Prozessen zwei, sogar drei Richter eingewechselt wurden, sich jedes Mal neu mit der Materie befassen mussten.

 

Als Symbol mag gelten, dass gerade ein neuer Präsident fürs Sozialgericht gesucht wird. Etliche Richter mussten ihr Fachgebiet komplett wechseln wie Michael Schmitz, die Geschäftsverteilung wurde permanent angepasst. Stellen gestrichen Zudem werden die Sachverhalte immer komplexer. Einfach ist kein Fall mehr. Warum das Gericht derart viele Richter(innen) verloren hat, ist genauso schnell begründet: Die Stellen werden entsprechend der Verfahren zugewiesen. Weil letztere so rapide gesunken sind, wurden die Stellen rapide gestrichen. Dazu kommen Pensionierungen, Krankheiten, Teilzeit.

 

Nun könnten zwar die Verfahren wieder zunehmen und damit die Stellen, doch ob dann genügend Personal verfügbar ist, bleibt offen. Erste Anzeichen für mehr Klagewillen zeichnen sich mit dem Bürgergeld ab. Wenn die Widerspruchswege erschöpft sind, wird es wieder vermehrt Klagen bei Gericht geben. Erste Eilanträge liegen schon vor. Es geht z.B. darum, wie genau Betroffene die 40.000-Euro-Grenze fürs Schonvermögen im ersten Jahr erklären müssen.

 

Der Verfahrensstau splittet sich so auf: 32 Prozent Grundsicherung, 22 Prozent Krankenversicherer, 19 Prozent Rentenversicherer, 9 Prozent Schwerbehinderte, Blinde, Entschädigungen, um nur die Top 4 zu nennen. Die Krankenversicherer haben dabei den rasantesten Zuwachs an Klagen. Wie sich das entwickelt, hängt unmittelbar von gesellschaftlichen Entscheidungen ab.


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