

Martha Minna und Gustav Hermann Kottner waren ein mutiges Ehepaar. Beide heirateten 1899, lebten in der Klingenberger Str. 3 in Dresden-Plauen und zogen vier Kinder groß. Seit 1919 bekannte sich die in Thüringen geborene Ehefrau zu den Bibelforschern. Ihr aus Schlesien stammender Ehemann folgte zwei Jahre später. Im Jahr 1933 wurden die Bibelforscher, die sich seit 1931 Zeugen Jehovas nennen von der NS-Diktatur verboten.
Doch Ehepaar Kottner gab seinen Glauben nicht auf. Gustav Kottner schmuggelte Schallplattenvorträge und Druckvorlagen für im Untergrund hergestellte Druckschriften. Er verteilte Hunderte Flugblätter unter den Dresdener Gläubigen mit einer "Warnung an die Herrscher in Deutschland […], die die wahren und treuen Nachfolger Christi Jesu grausam verfolgen". In einer geheimen Kommandoaktion verbreiteten daraufhin 3500 Zeugen Jehovas am 12. Dezember 1936 deutschlandweit 100.000 dieser Flugblätter, die wohl größte öffentliche Protesthandlung in der NS-Diktatur.
Auch Martha Kottner beteiligte sich an der Aktion. Am 14.09.1937 wurde sie verhaftet und wegen illegaler Tätigkeit für die verbotene IBV (Internationale Bibelforschervereinigung) zu 5 Monaten Gefängnis verurteilt. Ihr Ehemann organisierte im Sommer 1937 zwei Treffen des Leiters der Untergrundtätigkeit von Jehovas Zeugen in Deutschland mit Dresdener Gläubigen. Am 16.11.1937 wurde auch er verhaftet. Am 03.02.1938 bestätigte jedoch das Sondergericht Freiberg, dass Gustav Kottner aufgrund von Altersschwäche und Lungenbluten haftunfähig ist.
Daraufhin setzte die Staatsanwaltschaft zum nächsten Schlag an und beantragte seine Unterbringung in einer geschlossenen Heilanstalt. Doch auch dies lehnte das Gericht am 19.04.1938 ebenfalls ab und unterstellte ihn stattdessen der Aufsicht eines Sohnes, der seinen Glauben nicht teilte. 1940 verhaftete die Gestapo ihn jedoch erneut und misshandelte ihn. Dabei musste der 65jährige im Winter in einer Zelle stehen, in der ihm das eiskalte Wasser bis zum Hals reichte. Er verstarb kurz darauf an den Folgen der Misshandlung.
Am 24.11.1943 wurde Martha Kottner in Dresden erneut verhaftet, während sie auf ihre damals 7jährige Enkelin Inge aufpasste. Die Polizisten ließen das kleine Mädchen unbeaufsichtigt in der leeren Wohnung zurück. Martha Kottner wurde nach München überführt, wo sie mit über 200 weiteren Zeugen Jehovas des Hochverrats und der Wehrkraftzersetzung angeklagt wurde. Da das dortige Gefängnis bereits überfüllt war, wurde sie nach Traunstein verlegt. Die Staatsanwaltschaft bezeichnete sie als "fanatisch" und begründete die Anklage damit, dass sie "etwa 12 illegale Bibelforscherschriften zum Lesen erhalten" habe.
Weiter heißt es in der Anklageschrift: "Seit Frühjahr 1942 spendete sie für die illegale Organisation der IBV etwa fünfmal Geldbeträge in Höhe von 1 - 1,50 RM." Das allein reichte für eine Anklage auf Hochverrat. Während einige Zeugen Jehovas zum Tod oder zu langjährigen Haftstrafen verurteilt wurden, wurde das Verfahren weiterer Beschuldigter vom Hauptverfahren abgetrennt. Zu ihnen gehörte Martha Kottner, die nach eigener Aussage bis zu ihrer Befreiung aus dem Gefängnis im April 1945 damit rechnete, ebenfalls verurteilt und in ein KZ gebracht zu werden. Martha Kottner kehrte nach Dresden zurück und erhielt dort den Status "Opfer des Faschismus" (OdF).
Doch im April 1950 forderte der Prüfungsausschuss der DDR die damals 70jährige auf, "für den demokratischen Aufbau […] im Rahmen der Nationalen Front des demokratischen Deutschlands mitzuarbeiten." Man knüpfte damit den NS-Verfolgtenstatus einer Frau, die wegen ihrer apolitischen Haltung von der NS inhaftiert wurde, erneut an ein politisches Statement. Da sie dazu nicht bereit war, verlor sie ihren OdF-Status. Im August 1950 besuchte sie im Rheinland ihre Tochter Else und ihren Schwiegersohn Friedrich Brosius, der wegen seines Glaubens fast 8 Jahre in KZ-Haft verbrachte.
Als am 30.08.1950 Jehovas Zeugen in der DDR erneut verboten wurden, entschied sich Martha Kottner dafür, nicht mehr in ihre Heimat zurückzukehren. Das diese Entscheidung richtig war, musste sie spätestens 1954 erkennen, als ihr Schwiegersohn Bruno Seifert aufgrund seines Glaubens inhaftiert wurde und nach Folter in SED-Haft verstarb. Martha Kottner selbst verstarb 1969 im Alter von 89 Jahren. Am Freitag den 8. März werden zum Gedenken an Martha und Gustav Kottner in der Klingenberger Str. 3 zwei Stolpersteine von dem Künstler Gunter Demnig persönlich verlegt.
Zu der von dem Autor T. Martin Krüger initiierten Verlegung um 12:00 Uhr werden auch zwei ihrer Urenkel anreisen. Insgesamt werden am 8. März in Dresden 38 Stolpersteine und eine Stolperschwelle zur Erinnerung an die Opfer der NS-Diktatur verlegt. Am Abend wird eine Feierstunde um 19.00 Uhr im Hörsaalzentrum der TU, Bergstraße 64, im Raum 304/Z stattfinden. Infokasten: Stolpersteine Stolpersteine sind 96 x 96 mm kleine, beschriftete Messingtafeln, die auf einem Betonwürfel befestigt im Boden vor dem letzten Wohnhaus eines in der NS-Zeit inhaftierten, vertriebenen oder ermordeten Menschen an diesen erinnern.
Seit Gunter Demnig 1992 den ersten Stolperstein in Köln verlegte, wurden bereits mehr als 100.000 Steine in 30 europäischen Ländern verlegt, darunter 327 in Dresden.
Jehovas Zeugen in Sachsen
1891 besucht C. T. Russel, leitender Prediger der Bibelforscher das erste Mal Dresden. Seit 1905 fanden regelmäßige biblische Vorträge statt. 1913 müssen bei einem Vortrag von J. F. Rutherford über 7.000 Personen abgewiesen werden, da der Saal nur 2000 Personen fasste.
Im Jahr 1926 war die Dresdner Bibelforscher-Gemeinde mit 1430 Mitgliedern die größte Ortsgruppe der Welt. Von 1933 bis 1945 waren Jehovas Zeugen dann im NS-Deutschland verboten. Von deutschlandweit 25.000 Mitgliedern wurden 8.800 verhaftet. Nach kurzer Zeit in Freiheit wurden Jehovas Zeugen vom 30.08.1950 bis zum 14.03.1990 in der DDR erneut verboten und inhaftiert.
Gegenwärtig gibt es in Sachsen 11.175 Zeugen Jehovas in 117 Gemeinden. Deutschlandweit zählen sie heute 177.740 Mitglieder, weltweit sind es über 8,8 Millionen.
Buch zur Biografie
Der Autor T. Martin Krüger, dessen Großvater selbst im KZ Sachsenhausen eingesperrt war, erforscht seit Jahren die Geschichte der Zeugen Jehovas in der Zeit von 1933 bis 1945. Im Jahr 2022 hat er seine Erkenntnisse in einem Buch veröffentlicht. Der Titel des Buches ist einem im KZ Ravensbrück verfassten Gedicht entnommen: "Eine Bibel schön und groß, haben sie gefunden, diese Sünde, denkt euch bloß, kostet viele Arbeitsstunden". Das Buch enthält nicht nur die Geschichte von Ehepaar Kottner, sondern auch einen Bericht über Gertrud und Wilhelm Nollert, für die bereits am 23.09.2022 zwei Stolpersteine in der Schäferstr. 9 verlegt wurden.