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Matthias Stark/kun

»Die Bauern haben Recht, wenn sie demonstrieren«

Sachsen. WochenKurier sprach mit dem Sächsischen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer (CDU) zur aktuellen Situation.
Ministerpräsident Michael Kretschmer.

Ministerpräsident Michael Kretschmer.

Bild: photothek.de/Sächsische Staatskanzlei

Sie betonen oft, wie wichtig die Ökonomie für unser Land ist. Wir haben aktuell die Proteste der Bauern, das Land wird ein Stück weit lahmgelegt. Wie lange kann sich das Deutschland leisten und wäre es jetzt nicht an der Zeit, dass die Bundesregierung dazu Stellung bezieht, nach dem Prinzip: Wir haben verstanden?

Michael Kretschmer: Man muss annehmen, dass die Bundesregierung es nicht verstanden hat. Das Gerede von »Sie haben sich verrannt, kehren Sie um!« zeigt ja, dass sie nicht verstehen, dass sie selbst die Falschfahrer sind. Es ist demokratiezerstörend, wenn über einen so langen Zeitraum eine große Gruppe der Bevölkerung ein Thema hat, dabei auch viel Unterstützung von Ministerpräsidenten, Landräten, Bürgermeistern und auch Handwerkern erfährt, und sich dann nichts bewegt. Gerade die Sozialdemokraten haben uns über Jahre zu Recht darauf hingewiesen, dass Selbstwirksamkeitserfahrung dazu führt, dass man Zutrauen zu den Institutionen hat. Diese streikenden Menschen erleben aber aktuell Ohnmachtserfahrung. Das ist demokratiezerstörend. Wir haben alle miteinander die klare Erwartung, dass die Bundesregierung die Menschen einlädt und dass man eine Lösung findet.

 

Wie hätten Sie anstelle der Bundesregierung reagiert?

Ich glaube, ich hätte gar nicht erst so eine erratische Entscheidung getroffen, einfach mal von heute auf morgen die Kosten für einen Berufsstand zu erhöhen. Aber wenn man den Fehler macht, was in manchen Notsituationen passieren kann, sollte man vor der Rücknahme der Entscheidungen miteinander sprechen, sich gemeinsam hinsetzen. Ich habe den deutschen und den sächsischen Bauernpräsidenten erlebt, das sind Persönlichkeiten, die unglaublich viel Verantwortung für das Ganze übernehmen. Mit solchen Leuten kann man nicht so umgehen. Hinter ihnen stehen ganz viele Menschen, die genau beobachten. An diesen Beispielen zeigt sich, ob Demokratie funktioniert oder nicht. Die Berliner Regierung zerstört gerade das Vertrauen.

 

Haben Sie die Befürchtung, dass die Sache weiter eskalieren wird?

Es muss darum gehen, dass diejenigen, die jetzt Autorität und Vertrauen genießen, gestärkt werden. Das sind beispielsweise die Verbände, wie der Deutsche Bauernverband und die sie repräsentierenden Persönlichkeiten. Das tun wir als Ministerpräsidenten der Länder parteiübergreifend. Aber wenn diese Menschen nicht mehr die Autorität haben, zu sagen, wir machen diese Kundgebung so, dass wir die Einschränkungen begrenzen, weil wir auch Verantwortung für Deutschland haben, dann wird der Protest trotzdem stattfinden. Aber dann gibt es niemanden mehr, der das irgendwie gestaltet. Das kann nicht richtig sein.

 

Und wie lange werden wir uns diese Situation leisten können?

Wir können sie uns gar nicht leisten. Wir können uns auch die ökonomischen Fehlentscheidungen im Bereich der Energie und der Einschränkung von Technologie nicht leisten. Wir können es uns nicht leisten, in einem einheitlichen europäischen Markt unsere eigenen Marktteilnehmer zu benachteiligen. Wenn man sieht, dass etwa zwei Drittel aller in Deutschland konsumierten Eier aus dem Ausland kommen, dann ist klar, dass zwei Drittel der Wertschöpfung im Ausland stattfindet. Wir züchten in den letzten Jahren sechs Millionen Schweine weniger in Deutschland und in Spanien neun Millionen mehr. Das zeigt, dass die Wertschöpfung im Ausland stattfindet. Und so kann man diese Liste fortführen. Beim Agrardiesel ist es so, dass in Deutschland die Kosten im Mittelfeld liegen. Wenn wir die Veränderungen realisieren, wie sie die Bundesregierung möchte, liegen wir europaweit mit den Kosten an der Spitze. Das geht nicht und deswegen haben die Menschen Recht, wenn sie demonstrieren.

 

Weiterführende Links:

Es geht um mehr als Agrardiesel

Landwirte machen mobil

Unzufriedenheit und Zukunftsangst

 


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