Seitenlogo
Sascha Hache

Pflegerevolution oder Rohrkrepierer?

„Umsorgt wie daheim“ prangt an einem Lkw der Pflegeheim Seidau gGmbh. Ob das zum 1. Januar 2017 wirksam werdende Pflegestärkungsgesetz II helfen kann, diesen Leitspruch umzusetzen, fragte der WochenKurier bei der Pflegeheim-Geschäftsführerin Ursula Fleischer nach.
Die rüstige Rentnerin Ursula Lehmann (links) ist immer für ein kleines Schwätzchen zu haben. Wohnbereichsleiterin Karin Kluge hofft, dass mit der Einführung des PSG II etwas mehr Zeit für diese wichtigen sozialen Kontakte zur Verfügung steht. Foto: Hache

Die rüstige Rentnerin Ursula Lehmann (links) ist immer für ein kleines Schwätzchen zu haben. Wohnbereichsleiterin Karin Kluge hofft, dass mit der Einführung des PSG II etwas mehr Zeit für diese wichtigen sozialen Kontakte zur Verfügung steht. Foto: Hache

2016 wird zum Vorbereitungsjahr für‘s Pflegestärkungsgesetz II – was erwartet sich eine Praktikerin von diesem?

93 Prozent der Bundesbürger halten laut einer Umfrage des Institutes infratest dimap eine Pflegereform für wichtig. Anfang dieses Jahres in Kraft getreten und zum 1. Januar 2017 wirksam werdend, soll das PSG II nicht nur für die rund 25.000 Pflegebedürftigen in der Oberlausitz (Landkreis Bautzen: 12.629 / Landkreis Görlitz: 12.612 – aktuellste Zahlen mit Stand Dezember 2013 / Statistisches Landesamt Sachsen) enorme Verbesserungen bringen. Die augenscheinlichste Veränderung betrifft die bisherigen drei Pflegestufen. Aus diesen werden dann die Pflegegrade 1 bis 5. Nicht mehr die körperlichen Defizite der Senioren stehen dann im Fokus, sondern der Grad ihrer Selbstständigkeit bei der Alltagsbewältigung. Gemessen wird der tatsächliche Bedarf: Was kann der Betroffene noch selbst leisten, wo braucht er Hilfe. Das wiederum käme vor allem Demenzkranken zugute, die – körperlich oft noch relativ fit – bisher kaum die Chance auf eine Pflegestufe hatten. Das Jahr 2016 dient der Vorbereitung des neuen Begutachtungsverfahrens in der Praxis und der Umstellung auf die neuen Pflegegrade sowie die daraus resultierenden Leistungsbeträge. „Die Pflegegrade stellen wirklich eine Verbesserung dar. Demenz hat bisher noch nicht genügend Anerkennung gefunden“, sagt Ursula Fleischer. Weist aber im gleichen Atemzug auf eine große Unbekannte hin. „Wir wissen derzeit nicht, wie die Personalschlüssel aussehen werden. Bei der Pflege geht es immer um Zeit, bei Demenz beträgt dieser Aufwand ein Vielfaches.“ Vor Einführung der neuen Pflegegrade müssen deshalb die Träger der Pflegeeinrichtungen, Sozialhilfeträger und Pflegekassen die Personalstruktur und -schlüssel der Einrichtungen prüfen und bei Bedarf anpassen. Bis zum 30. September müssen sie neue Pflegesätze für die Pflegeheime vereinbaren. Die rund 9.000 (BZ: 4.308 / GR: 4.669) in der Oberlausitz in der Pflege Beschäftigten dürften dann nicht ausreichen. Denn bereits jetzt sind diese meist überlastet. Zeitaufwändig ist vor allem die Dokumentation aller Tätigkeiten. Diese soll mit dem PSG II weniger bürokratisch sein. „Darauf sind wir auch sehr gespannt, denn bisher hieß es immer: Was nicht dokumentiert wurde, dies wurde nicht geleistet.“ Derzeit arbeiten in Sachsen 57.409 Beschäftigte in der Pflege, davon 22.412 im ambulanten Bereich. Eine Entlastung würde nottun. Denn in Sachsen sei weniger Zeit als im Bundesvergleich für den einzelnen Pflegebedürftigen da, das Personal entsprechend stärker belastet, weil es mehr leisten muss, resümierte kürzlich Matthias Steindorf, Referent für Altenhilfe beim Paritätischen Wohlfahrtsverband, im MDR. Bei ambulanter Pflege und in den Heimen müsse kräftig aufgestockt werden – konkret, 20 bis 40 Prozent mehr Pflegekräfte, führte er weiter aus. Pflegedienstleister müssen aber bereits jetzt um entsprechendes Personal kämpfen. Eigentlich ein Unding, dass Auszubildende bisher auch noch ein Schulgeld zahlen müssen. Rund 60 Euro bringen sie monatlich für ihre Ausbildung auf. Dieses Jahr soll aber ein neues Pflegeberufsgesetz verabschiedet werden, dass u.a. den Wegfall des Schulgeldes zum Ziel hat. Außerdem werden die bisherigen drei Ausbildungen in der Altenpflege, der Gesundheits- und Krankenpflege sowie der Gesundheits- und Kinderkrankenpflege reformiert und zu einem neuen einheitlichen Berufsbild zusammengeführt. Der erste Ausbildungsjahrgang könnte dann 2018 starten. „Interessant wird sein, wie die Ausbildungskosten aufgeteilt werden. Bisher wurden diese durch ein erhöhtes Heimentgelt durch die Bewohner getragen. Für alle ausbildenden Einrichtungen stellt dies regelmäßig ein große Problem dar“, weiß Ursula Fleischer. Viel Ungewissheit also nicht nur beim PSG II. Wird dieses nun zur Pflegerevolution oder zum Rohrkrepierer? „Fragen Sie mich dies bitte nach einem Jahr Praxis nochmal.“ Mehr Infos zum PSG II: www.pflegestaerkungsgesetz.de


Meistgelesen