Was läuft, Herr Schneider?
Montags, halb zehn in Pirna. Erik Schneider lehnt im Vorführraum an einem überdimensionierten Plattenteller. »Hier kamen früher die Filmrollen drauf«, sagt er. Das war regelrechte Handarbeit, denn angeliefert wurden die Filmstreifen kapitelweise in Paketen und mussten vor Ort zusammengeklebt werden. Die riesige Filmrolle wurde mit Schwung auf den Teller gehievt und der Filmstreifen lief anschließend über ein kompliziertes System quer durch den Vorführraum zum Projektor, um danach wieder aufgewickelt zu werden. »Natürlich gab es hin und wieder Probleme. Bei einem Filmriss blinkte ein Lämpchen an der Kasse oder es kam einer der Zuschauer und meckerte«, lacht Schneider.
Ein durchschnittlicher Spielfilm brachte es immerhin auf zwei Kilometer Länge. Bei Titanic war es mehr. Die 35 Millimeter-Bild-Ton-Rolle war viel größer als der Teller. »Wir haben es trotzdem hinbekommen«, sagt der 73-Jährige. Neben der analogen Filmvorführmaschine steht die Gegenwart – ein digitaler Projektor, nicht größer als ein Bürodrucker. »Wir haben damals Jahrzehnte mit ein und derselben Vorführtechnik gearbeitet. Hier steht inzwischen schon die dritte Generation des digitalen Zeitalters«, schmunzelt der ehemalige Kinochef.
Tot im Kinosessel
1969 kam Schneider ins Pirnaer Kino und verliebte sich sofort in Kino 1, genauer noch in die Stuckdecke des ehemaligen Hotels Kaiserhof von 1890. Für die Kinogäste waren die Verzierungen lange nicht zu sehen. »Seit den 20er Jahren war die Decke abgehangen. Das hatte akustische Gründe«, sagt Schneider, der damals als Chef des Kreislichtspielbetriebs auch für die Kinos in der Umgebung zuständig war. In dieser Funktion erinnert er sich noch an einen tragischen Zwischenfall im Heidenauer Kino. Makabre Sache. »Ein Zuschauer war während einer Vorführung gestorben und niemand hatte es gemerkt«, sagt er. Es gab aber auch schönere Momente – die Premiere des DEFA-Musikfilms »Nicht schummeln, Liebling!«, 1974 auf der Felsenbühne Rathen zum Beispiel.
"Der weiße Hai": Zu viel Gewalt
Fast vergessen, so sagt Schneider, seien die Filmvorführungen auf den Dörfern. 21 sogenannte Landfilm-Gemeinden habe es damals gegeben. In regelmäßigen Abständen wurden die mit der Phonobox-Maschine, einem portablen Vorführgerät, angefahren. »Mittags gab’s Programm für die Kinder, abends Filme für die Erwachsenen«, erinnert sich der 73-Jährige. Und Westfilme? »Wir haben unsere Streifen über den Progress-Filmverleih bezogen. Mehrere Tausend Filme standen zur Auswahl, auch aus dem kapitalistischen Ausland. Reingeredet hat uns da keiner«, sagt er. Erotische und gewaltverherrlichende Filme waren tabu. So blieben »Der weiße Hai« und »Rambo« dem DDR-Kinopublikum vorenthalten, E.T. und BMX-Bande hingegen nicht. Die Premieren in DDR-Kinos fanden meistens Jahre nach den offiziellen Kinostarts statt.
Flut 2002 war eigentlich das Aus
Nach der Wende kaufte Kieft & Politt das Kino und steckte eine Million Mark hinein. Die Flutwelle der Gottleuba besiegelte 2002 dann eigentlich das Aus. Schneider kümmerte sich um einen zinsfreien Kredit und reparierte mit vielen ABM-Kräften die technischen Anlagen. 2009, als das digitale Zeitalter anbrach, ging der Kinomann – aber nicht komplett. Jeden Montag kümmert er sich noch um die Technik und übernimmt kleine Hausmeistertätigkeiten. Seine Gesundheit hat ihm zuletzt den Zeigefinger gezeigt, ziemlich deutlich sogar. »Ich kann doch aber nichts anderes außer Kino«, lacht der redselige Ruheständler.