André Schramm

Mit dem Ballon davon

Um aus der DDR abzuhauen, war jedes Mittel recht – selbst die Flucht im Heißluftballon kam in Betracht, wie im Fall von Jan Hübler. In Neustadt/Sa. spricht der Dresdner demnächst über das Abenteuer, von dem niemand wissen durfte.
Ein Ballon-Test bei Schlottwitz (Glashütte). Foto: Hübler

Ein Ballon-Test bei Schlottwitz (Glashütte). Foto: Hübler

Ende der 80er Jahre: Jan Hübler hat sein Maschinenbau-Diplom in der Tasche, ist verheiratet und bewohnt eine kleine Zweiraumwohnung. Trotzdem ist er unglücklich. »Ich hatte mich an der Filmhochschule Potsdam-Babelsberg beworben, bekam aber eine freche Absage. Ich war politisch nicht genug auf Kurs und hatte das Gefühl, ich komme hier nicht weiter«, sagt er. Das voreilige Ende seiner Filmkarriere war der Anfang für den »letzten DDR-Fluchtversuch im Heißluftballon«. Warum ausgerechnet mit dem Ballon? »Ich fand das eine würdige Art, um die DDR zu verlassen und der Obrigkeit den Finger zu zeigen«, erzählt der heute 58-Jährige. Die Idee dazu hatten schon andere, weit vor ihm. 1979 gelang zwei Familien aus Thüringen eine spektakuläre Ballonflucht in die BRD – ganz zum Nachteil von Hüblers Plänen. »Denn sämtliche Materialen, die zum Ballonbau geeignet waren, gab es seither nicht mehr im Handel«, erzählt er. Also musste Ersatz her – Bettlaken. »Der Vorteil war, dass es allein in Dresden rund 50 Textilwarengeschäfte gab, die Bettlaken führten«, erinnert sich Hübler. So konnten er und seine Frau beim Kauf unter dem Radar bleiben. »Hilfreich war, dass damals viele Menschen Bettlaken in großen Mengen kauften, etwa um sich etwas Schickes zu nähen«, sagt er. Natürlich hatte der Matratzenbezug auch einen entscheidenden Nachteil. Er war luftdurchlässig, musste vorher also mit Latex imprägniert werden. »Ob das tatsächlich funktioniert, wussten allerdings nicht«, schmunzelt er. Zwei Jahre daran gearbeitet 1987 begannen die Beiden in einer kleinen Zweiraumwohnung in Dresden-Seidnitz mit der Konstruktion des Heißluftballons. Bettlaken wurden zusammengenäht und physikalische Berechnungen  angestellt. Nicht einmal die engsten Familienangehörigen wussten davon. So wurden in zwei Jahren mehr als 300 Dosen Latex, 480 Bettlagen und 13.000 Ostmarkt in den Bau des Fluchtmobils gesteckt. »Zwischendurch haben wir im Osterzgebirge mit Probeballons und Propangasbrenner getestet«, sagt Hübler. Ganz ungefährlich waren die Vorbereitungen zur Republikflucht nicht. Die gesamte Ausrüstung musste jedes Mal per Anhänger hin und zurückgebracht werden – ohne große Aufmerksamkeit zu erregen. »Zurückblickend war es die intensivste Zeit meines Lebens, auch wenn es ganz schön unverantwortlich war. Es hätte so viel schiefgehen können. Wir lebten irgendwie in einer ganz eigenen Welt«, meint Hübler rückblickend. Insgesamt zwölf potentielle Startpunkte hatte er für die Flucht ausgespäht. Am Ende wurde es auf einer Lichtung zwischen Lauscha und Sonneberg (Thüringen) ernst...
Jan Hübler arbeitet heute als Reisejournalist und Stadtführer. Aller zehn Jahre – immer dann, wenn das Wendejubiläum in den Fokus der Öffentlichkeit rückt – ist er bundesweit mit seinem Vortrag unterwegs.  

  • Termin:
    Jan Hübler ist am 29. Oktober, 19.30 Uhr, mit seinem Vortrag »Der letzte Ballonfluchtversuch aus der DDR – Ein autobiographischer Tatsachenbericht in Bildern« in der Neustadthalle zu Gast.
  • Tickets: 14 Euro


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