

Ein bisschen sah man ihm die weite Strecke an, die er bis auf die Dresdner Straße nach Meißen zurückgelegt hatte. André Hahn, vor wenigen Tagen noch als Wahlbeobachter in Venezuela unterwegs, sitzt etwas übermüdet in seinem Wahlkreisbüro und zieht Halbzeitresümee. Nach fast zwei Jahrzehnten im sächsischen Landtag ging es für ihn 2013 in die Bundespolitik – ein Kulturschock. Hahn spricht von Chaos und einem hohen Grad von Unorganisiertheit im politischen Machtzentrum unseres Landes. „Du hast Plenarsitzung, parallel Ausschüsse und Arbeitskreise, stark begrenzte Fragezeiten und nicht selten werden wichtige Debatten über Gesetze abgekürzt“, sagt der 52-Jährige. Er macht kein Geheimnis daraus, dass ihm diese Kultur missfällt. Ändern kann er daran nicht viel. Das Tempo sei hoch, die Zuschauer internationaler und die Beschlüsse und Statements von weitreichender Natur als früher in Dresden. Hahn hat aber auch noch einen anderen, weniger öffentlichen Job. Er ist Vorsitzender des Parlamentarischen Kontrollgremiums für die Geheimdienste. Dieser exklusive Kreis (neun Mitglieder) kümmert sich um den Bundesnachrichtendienst, den Militärischen Abschirmdienst und den Verfassungsschutz. "Wurde mir mitgeteilt" Dass ausgerechnet „einem von den Linken“ diese Kontrollfunktion zuteil wurde, ist schon etwas speziell, wenn man weiß, dass der Verfassungsschutz einzelne Mitglieder der Partei jahrelang selbst überwachte. „Diese Praxis wurde im Februar 2015 offiziell eingestellt, wurde mir mitgeteilt“, sagt Hahn. Wurde mir mittgeteilt – dieser Zusatz gehört für ihn wohl oder übel zum Geschäft. Von rund 80 Prozent der Verfehlungen beim BND erfährt er aus der Zeitung. Dabei seien die Behörden verpflichtet, „Vorgänge von besonderer Bedeutung“ dem Kontrollgremium mitzuteilen. „Hier gibt es ein Definitionsproblem“, meint Hahn und erklärt das anhand eines Beispiels. „Wenn sich der Geheimdienst die Genehmigung einholt, den Kommunikations-Knoten Frankfurt anzuzapfen, um zwei Terrorverdächtige zu überwachen, dann ist das legitim. Stellt sich im Nachhinein heraus, dass die Erlaubnis als Generalvollmacht für das Ausspähen Tausender Bürger verstanden wurde, dann habe ich damit ein großes Problem“, sagt er. Sein Ziel: Die Spielregeln verändern, den Geheimedienstapparat etwas transparenter machen. Geht das überhaupt? "Tonbandmitschnitte im Kontrollgremium sind ein guter Anfang, um ggf. festzustellen, ob wir über Vorgänge vollumfänglich informiert wurden oder nicht", sagt Hahn. Spionieren unter Freunden – das geht doch Ein guter Geheimdienst ist einer, der keine Schlagzeilen produziert. Dieser Weisheit stimmt Hahn zu. "Nur leider ist es derzeit nicht so", meint er. Sinnbildlich dafür seien die Geschehnisse im Zusammenhang mit der NSA-Affäre, um die sich ein Untersuchungsausschuss derzeit kümmert. "Hier hätte man der Kanzlerin frühzeitig sagen müssen, dass wir das auch machen", meint Hahn. Stattdessen hätten die eigenen Leute Frau Merkel ins Messer rennen lassen. Dass der BND dabei geholfen hat, europäische Unternehmen, wie den Flugzeugbauer EADS, auszuspionieren und Informationen an die Amerikaner weiterreichte, sei nicht hinnehmbar. "Ich bin nicht mehr erstaunt, eher schockiert und das regelmäßig", sagt Hahn mit Blick auf seine Arbeit, die ihn mitunter in Kreise führt, zu denen nur eine Hand voll Menschen Zutritt haben. Auch die Enthüllungen um den Whistleblower Edward Snowden sind für den gebürtigen Berliner nach wie vor ein Thema. "Man muss wissen, dass wir hier von einem Aktenberg über 600.000 Seiten sprechen. Die relevanten Informationen zu filtern, Zeugen zu befragen – das dauert", sagt er. Bleibt noch Zeit für Wahlkreisarbeit? Selbst wohnhaft in der Nähe von Königstein liegt Hahn das Thema Bahnlärm besonders am Herzen. "Es beschäftigt die Menschen in meinen beiden Wahlkreisen – Meißen sowie Sächsische Schweiz Osterzgebirge – gleichermaßen", erklärt er. Er werde nicht müde, die Verantwortlichen mit Anfragen zu dem Thema zu quälen, versprach er. Meißen, Freital oder Heidenau – mit den Schlagzeilen aus den Städten seiner Wahlkreise wird er immer wieder konfrontiert. "Sachsen hat seit der Wende 800.000 Einwohner verloren. Ich denke, wir sollten in der Lage sein, 50.000 oder 60.000 Menschen aufzunehmen. Dass die Flüchtlinge auch für bessere Schlüsselzuweisungen sorgen, die der gesamten Öffentlichkeit zugutekommen, wird in der ganzen Diskussion vergessen", sagt Hahn auf dem Sprung in die Erstaufnahme Bohnitzsch.