Im Reich der alten Kirmes-Rösser
Die rostbraune Farbe ist abgeblättert, die Schrauben, die die Einzelteile des hölzernen Hahns zusammenhalten, sind verrostet, Risse überall. Die kleinen Rösser schauen traurig drein, auch an ihnen ist die Zeit nicht spurlos vorübergegangen. Zügel und Steigbügel weisen Spuren von glücklichen Kindern auf. An den anderen Tierfiguren - Ziege, Gans und Schwein - nagt ebenfalls der Zahn der Zeit, der Lack ist vielfach ab, an etlichen Stellen ist blankes Holz zu sehen.
Karen Hobelsberger hat neun, zwischen zehn und 25 Kilogramm schwere Kirmesfiguren auf eine hölzerne Drehscheibe gestellt, die auf der Wiese ihres Werkstattgeländes steht. Hier soll in den kommenden Monaten ein historisches Kinderkarussell errichtet werden. Mit ihren alten Holzfiguren. Deren Alter die Wachauerin auf weit über 100 Jahre schätzt. Vermutlich seien das die ältesten Karussellfiguren in Ostsachsen, so die 57-Jährige, eine in der Region weithin bekannte Kettensägenkünstlerin. Mit diesem Projekt erfülle sie sich »einen Lebenstraum«, erzählt die frühere Pharmareferentin, die von Nostalgie spricht, von Jahrmarkterinnerungen und davon, dass diese Holzfiguren »Kulturgut« seien.
Vor zwölf Jahren bekam sie diese von einem Freitaler Karnevalsverein. »Die standen damals bei einer Veranstaltung als Deko herum«, so die in Sohland/Spree aufgewachsene Frau. Über zehn Jahre schlummerten die Kirmesfiguren auf dem Dachboden. Als ihr im vergangenen Jahr ein Leppersdorfer Landwirt eine alte Silo-Abdeckung anbot, sei das »der Impuls« für ihr schon langgehegtes Vorhaben gewesen. »Die ist ja als Karusselldach top geeignet«, so Hobelsberger weiter. Für den Transport der rund 170 Kilogramm schweren und dreieinhalb Meter breiten Scheibe - »sieht wie ein Ufo aus« - habe sie einen Schwertransporter benötigt. Über Ebay-Kleinanzeigen suchte sie Leute, die sich »mit dem Bau von historischen Karussells auskennen«. Ein Dresdner Modellbauer meldete sich - und der Radeberger Drehermeister Walter Ulrich, befreundete Handwerker sicherten ihr ebenfalls Unterstützung zu.
Möglichst originaler Nachbau
Im vergangenen November traf man sich zur Planung, dabei stand vor allem die Frage im Mittelpunkt: Wie soll das Karussell bewegt werden? Mechanisch oder mittels Handbetrieb. Von erfahrenen Landwirtschaftsschlossern aus der Region gab es Tipps für den Bau eines solchen Antriebs. Fest steht nun: das historische Kinderkarussell, das im Übrigen, so Karen Hobelsberger »unverkäuflich« sei, wird, wenn es fertig ist, per Handbetrieb in Bewegung gesetzt. Für alle am Projekt beteiligten Mitarbeiter wird es in den kommenden Monaten einiges zu tun geben. Alles soll möglichst originalgetreu nachgebaut werden.
Im Winterhalbjahr will Karen Hobelsberger ihren von der Zeit geschundenen Kirmes-Wesen wieder Leben einhauchen, sie restaurieren. Sie freut sich schon aufs kommende Jahr. Im Mai oder Juni will sie auf ihrem Grundstück an der Wachauer Schulstraße ein Karussellfest veranstalten. Dann sollen sich die alten Holzfiguren wieder im Kreis drehen, Kinder auf den historischen Pferdchen reiten können. Für Karen Hobelsberger gibt es nichts Schöneres als ein historisches Kinderkarussell. »Das ist«, so die Wachauerin, »doch was für die Seele.«