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Häusliche Gewalt hat viele Formen

Löbau. In Löbau gibt es seit Mai eine Beratungsstelle für Betroffene von häuslicher Gewalt. Die Mitarbeiterinnen sind im ganzen Landkreis unterwegs.

Drei Mitarbeiterinnen sind in der Interventions- und Koordinierungsstelle beschäftigt. Sie wollen anonym bleiben.

Drei Mitarbeiterinnen sind in der Interventions- und Koordinierungsstelle beschäftigt. Sie wollen anonym bleiben.

Bild: T. Keil

9.020 Fälle häuslicher Gewalt registrierte die sächsische Polizei im vergangenen Jahr. Die Dunkelziffer ist weit höher, denn viele Taten werden nicht angezeigt. Die Gründe dafür sind vielfältig. Angst und Scham spielen sicher eine Rolle, vielleicht auch die Unwissenheit darüber, dass einem Unrecht wiederfahren ist. Denn häusliche Gewalt beginnt nicht erst mit Schlägen. Auch Kontrolle, Beschimpfungen, Belästigungen und Bedrohungen sind Formen von Gewalt.

 

Damit Betroffene in Zukunft schneller Hilfe bekommen, wurde im Mai in Löbau die Interventions- und Koordinierungsstelle (IKS) gegen häusliche Gewalt im Landkreis Görlitz etabliert. Drei Mitarbeiterinnen, die aus Gründen des Selbstschutzes nicht namentlich genannt werden möchten, arbeiten dort. 30 Personen wurden seit dem Start der IKS beraten.

 

Beratung im Wohnort

 

Wer Kontakt aufnehmen will, kann das per Telefon oder Mail tun. Dann wird ein Termin vereinbart. "Wir fahren auf Wunsch auch zu den Menschen, waren beispielweise schon in Görlitz, Zittau und Niesky", erzählt eine Mitarbeiterin. Die Treffen finden dann an einem neutralen Ort statt. Zu den Betroffenen nach Hause gehen die Beraterinnen nicht. Auch das ist eine Frage des Selbstschutzes. Dass sich Betroffene selbst melden, ist aber die Ausnahmen. Meist geht ein Hinweis der Polizei voraus. Dann werden die Mitarbeiterinnen selbst aktiv und melden sich bei den Betroffenen.

 

Denn der Schritt, sich selbst Hilfe zu suchen, fällt oft schwer. "Betroffene sollten sich einen Angehörigen, Freund oder Nachbarn suchen, dem sie sich anvertrauen können und der sie unterstützt", rät eine der Mitarbeiterinnen der IKS. Es helfe oft schon, mit jemandem zu reden, der Verständnis hat und die damit verbundene Bestätigung, dass das Geschehene eine Grenzverletzung war. "Häusliche Gewalt beginnt nicht immer mit körperlichen Angriffen. Oft stehen andere Formen am Anfang." Das können etwa Demütigungen und Drohungen sein, Einschüchterungen und soziale Isolation. Täter sind meist Partner oder ehemalige Partner beziehungsweise Partnerinnen. Denn auch Frauen üben Gewalt aus, wenn auch seltener. Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gibt an, dass bei Partnerschaftsgewalt in vier von fünf Fällen eine Frau betroffen ist. Häusliche Gewalt geht auch nicht immer vom Partner oder der Partnerin aus. Auch große Kinder oder nahe Verwandte könne Täter sein.

 

Damit die IKS schnell helfen kann, ist sie umfassend vernetzt, hat Kontakt zu anderen Hilfsstellen, arbeitet mit der Polizei zusammen und kann, wenn nötig, auch an die Frauenschutzwohnungen im Kreis vermitteln. Wichtig ist auch die Niederschwelligkeit des Angebots. Deswegen wird kostenfrei und anonym beraten, dazu wohnortnah und auf Wunsch auf telefonisch oder online. Bei Sprachbarrieren können Dolmetscher hinzugezogen werden.

 

Das Thema darf kein Tabu sein

 

Die Hilfe, die die IKS anbietet, ist vielfältig. Das beginnt bei der emotionalen Stabilisierung durch psychologische Beratung, geht über Hilfe bei rechtlichen Fragen und die Erstellung eines Sicherheitskonzeptes bis zur Begleitung und Vermittlung passgenauer Anschlusshilfe. Auch die Beratung von Kindern und Jugendlichen spielt dabei eine wichtige Rolle. Zum einen natürlich, weil Kinder selbst Opfer häuslicher Gewalt werden. Aber selbst, wenn sich die Gewalt nicht gegen sie richtet, erleben sie sie mit. Deswegen stehen die Mitarbeiterinnen hier als unabhängige Vertrauenspersonen zur Verfügung, mit denen die Kinder und Jugendlichen über das Erlebte und ihre Gefühle sprechen können.

 

Ein wichtiger Teil der Arbeit der Löbauer Interventions- und Koordinierungsstelle ist die Öffentlichkeitsarbeit. Denn das Thema wird oft als Privatangelegenheit angesehen, in die man sich lieber nicht einmischt. Die Aufgabe der IKS ist es auch, an diesem Tabu zu rütteln, Man will über physische, psychische, soziale und ökonomische häusliche Gewalt aufklären und damit Menschen motivieren, genauer hinzuschauen und zu handeln, wenn sie Gewalt im Umfeld bemerken. Angehörige und Freunde sollten dabei betroffene nicht bedrängen, aber offen mit ihnen sprechen. "Man sollte beschreiben, was man beobachtet hat, Fakten nennen und die Betroffenen fragen, wie sie sich fühlen", rät eine der Mitarbeiterinnen. Die Perspektive eines Außenstehenden helfe den Betroffenen, weil sie die Situation manchmal selbst gar nicht reflektieren, vielleicht sogar bewusst verdrängen. Was Betroffene allerdings gar nicht gebrauchen können, ist zusätzlicher Druck. Ein "trenn dich doch von dem (oder der)" hilft nicht.

 

Sensibilisieren will die IKS auch anderen Stellen. In Kooperation mit der Polizei werden regelmäßige Schulungen stattfinden, damit der Blick der Beamtinnen und Beamten für häusliche Gewalt geschärft wird. Auch auf Kitas, Schulen und Ärzte will die Interventions- und Koordinierungsstelle zugehen und Kooperationen aufbauen, so dass auch hier zusätzlich geschult werden kann.

 

 


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