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„Wer gibt mir eine Chance?“

Tina Beyer ist 16, gehbehindert, hat bald einen Hauptschulabschluss in der Tasche – doch was kommt dann?
Uta Beyer (li.) mit Tina (mi.) und Jana – vor allem für Tina wünscht sich die Mutter derzeit, dass die 16-Jährige trotz einfachem Hauptschulabschluss eine „normale“ Ausbildung anfangen kann. Foto: Pönisch

Uta Beyer (li.) mit Tina (mi.) und Jana – vor allem für Tina wünscht sich die Mutter derzeit, dass die 16-Jährige trotz einfachem Hauptschulabschluss eine „normale“ Ausbildung anfangen kann. Foto: Pönisch

 Über Inklusion, Teilhabe am Leben, Chancengleichheit für Behinderte wird viel geschrieben und in Umfragen erfasst. Doch in der Realität sieht manches anders aus, wie Familie Beyer aus Dresden seit etwa fünf Jahren immer wieder erleben muss.

Uta Beyer hatte sich neulich sehr geärgert. Adressat ihres zunächst erbosten Anrufs: Wir, die Redaktion des WochenKurier. Denn auf einer unserer Seiten fand Uta Beyer einen Bericht über eine Umfrage unter 1.400 ausbildenden Betrieben, von denen ein Viertel angab, Azubis mit Behinderung zu beschäftigen. Der Beitrag war bebildert mit einer jungen hübschen Blondine im Rollstuhl. „Das ist so was von unrealistisch, das regt mich maßlos auf", schimpft Uta Beyer. Die 43-jährige Arzthelferin hat zwei Töchter: Tina, 16 Jahre alt, und Jana, fast 14. Beide Mädchen leiden an der genetisch bedingten Krankheit Polyneuropathie – ein Muskel- und Nervenversagen der Beine ab dem Kniebereich. „Als die Mädchen klein waren, sind sie ständig hingefallen. Tina hatte eigentlich immer irgendwo Schürfwunden, aber weil sie ein sehr zurückhaltendes und ruhiges Kind war, hielten sich ihre Verletzungen in Grenzen. Bei Jana war es schlimmer, sie war ungestümer und ihre Verletzungen deshalb schwerer", erzählt Uta. Es dauerte Jahre und unzählige Untersuchungen, Tests und Behandlungen, ehe die Ärzte endlich vor fünf Jahren die Ursache für die Auffälligkeit der Kinder erkannten. Deren Prognose lautet nun: Lebenslange Physio- und Ergotherapie und ein Leben im Rollstuhl. Vielleicht nicht ständig, aber ziemlich oft, denn schon heute können sich die Beiden nicht viel länger als drei, vier Stunden auf den Beinen halten. Doch das ist nur ein Teil des Problems im Hause Beyer. Tina, die 16-Jährige, ging wegen einer Lernbehinderung ab der 3. Klasse in eine Lernförderschule. Ihre Nachmittage sind voll mit Physio- und Ergotherapie sowie Arztbesuchen. Was dazu führte, dass sie statt eines erweiterten Hauptschulabschlusses nun ein berufsvorbereitendes Jahr an der Kolpingschule machen muss, um den einfachen Hauptschulabschluss zu erhalten. „Danach soll ich ins Berufsbildungswerk nach Hellerau wechseln, dort gibt es Ausbildungsmöglichkeiten für Behinderte", sagt Tina. „Das hieße für mich, von Niedersedlitz nach Hellerau täglich zweimal anderthalb Stunden pendeln oder dort ins Internat gehen. Das will ich aber nicht und ganz ehrlich: Für das BBW fühle ich mich einfach nicht behindert genug." Jana, die Jüngere, kämpft von klein an mit Sprachstörungen, so dass bei ihr zusätzlich noch Logopädiebehandlungen dazukommen. „Ich hoffe trotzdem, dass Jana den Realschulabschluss schafft", sagt Mutter Ute. Für ihre Große wünscht sie sich einen Ausbildungsplatz in einem Betrieb. „Doch kleine Firmen, die ich fragte, sehen keine Möglichkeit und große, die es könnten, warten nicht auf jemanden mit einfachem Hauptschulabschluss." Deshalb würde sie sich von Schule und Behörden mehr Hilfe wünschen. „Kinder mit einer Behinderung sollten nicht noch behindert werden." Pönisch


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