André Schramm

Wahlheimat Radebeul: "Diese Zugezogenen"

Mit einer Befragung hat sich das Radebeuler Rathaus zusätzliche Arbeit aufgehalst, dafür aber auch wichtige, zum Teil überraschende Erkenntnisse gewonnen – über Menschen, die neuerdings hier wohnen.
In Radebeul lässt es sich gut leben. Ein Großteil der Zugezogenen sieht das genauso. Sogar einen der bundesweiten schönsten Fußballplätze hat Radebeul zu bieten. Foto: Schramm / Archiv

In Radebeul lässt es sich gut leben. Ein Großteil der Zugezogenen sieht das genauso. Sogar einen der bundesweiten schönsten Fußballplätze hat Radebeul zu bieten. Foto: Schramm / Archiv

Kommen Radebeuler miteinander ins Gespräch, gilt es zunächst ein paar grundsätzliche Dinge zu klären: Radebeul-Ost oder West? Oberhalb oder unterhalb der Meißner? Hier geboren oder zugezogen? Über die Menschen aus der letzteren Kategorie gab es bislang nur vage Vermutungen: Möglicherweise aus dem Westen, dazu noch wohlhabend und obendrein hier gebaut. So richtig Bescheid wusste man über die Zuzügler nicht. Was mag sie wohl ausgerechnet hierher verschlagen haben? Die Radebeuler Stadtverwaltung hat diese und weitere Fragen nun geklärt -  in einer Neubürgerbefragung. Drei Jahre nach Einzug wurden 652 Haushalte angeschrieben und darum gebeten, einen Fragenkatalog auszufüllen. Angesichts des Umfangs kamen immerhin 160 Briefe zurück. Im Fokus standen dabei die sogenannten „jungen Erwachsenen“, also Menschen zwischen 18 und 39 Jahren. Das wird später noch wichtig. Die gute Nachricht schon jetzt: Der Großteil hat den Umzug nach Radebeul nicht bereut. Rückkehrer sind die Ausnahme „Im Kern lassen sich die Zuzügler in zwei Kategorien einteilen. Die Heimatler, also Menschen, die sich ins Stadtleben einbringen, den Stadtrat besuchen oder sich irgendwo engagieren. Dann gibt es noch die Lebensabschnittler, also Leute, die beruflich für ein paar Jahre hier Station machen und kaum Berührungspunkte mit dem städtischen Leben haben“, resümierte Oberbürgermeister Bert Wendsche. Erste große Überraschung: Zurück-Kommer sind die absolute Ausnahme (7 Prozent) und fast ausschließlich im Rentenalter. Beim Gros der Zugezogenen handelt es sich tatsächlich um „Auswärtige“, und zwar aus Sachsen (71 Prozent), Brandenburg und Sachsen-Anhalt (je 6 Prozent) sowie Bayern (4 Prozent). 54 Prozent der Zugezogenen haben einen hohen Bildungsgrad (Akademiker), 59 Prozent arbeiten außerhalb der Stadt. Doch mit welchen Erwartungen kamen die Neuen nach Radebeul? Hier wurden das ruhige Wohnen in ländlicher Idylle, die Nähe zur Natur, die gute ÖPNV-Anbindung und Infrastruktur besonders häufig genannt. Für die meisten Befragten haben sich ihre Erwartungen erfüllt. Allerdings fühlt sich knapp ein Viertel sich durch den Straßenverkehr gestört. Jeder Fünfte gab an, dass es zu wenig Angebote für Jugendliche gibt. Es gab daneben aber auch triftige Gründe für den Umzug in die Gartenstadt: Die Nähe zu Dresden (25 Prozent) und der Arbeitsmarkt (17 Prozent). 34 Spielplätze: Trotzdem unzufrieden Insgesamt stellten die Befragten der Stadt ein gutes Zeugnis aus. So sei Radebeul familien- und kinderfreundlich, sympathisch sowie gastfreundlich. Zudem verfüge die Stadt über ein funktionierendes Vereinsleben, genügend kulturelle Angebote und gepflegte Wanderwege. Pluspunkte gab es auch für die Bürger-App, die Mitarbeiter der Stadtverwaltung und die Nachbarschaft (beide freundlich). 82 Prozent sind zufrieden bzw. eher zufrieden mit den Einkaufsmöglichkeiten hier vor Ort. Ganz interessant: Der Großteil erledigt seine Besorgungen nicht in Dresden, sondern hier. Es gab aber auch Dinge zu bemängeln. „Etwas überrascht hat uns die Kritik zu den Spielplätzen“, sagt Daniela Bollmann, Amtsleiterin Zentrale Leitstelle. In Noten (1 bis 5) gab es dafür nur eine 3. Mehr Spielplätze und moderne Spielgeräte standen ganz oben auf der Wunschliste. Auch städtische Angebote waren kaum bekannt bzw. wurden wenig genutzt. „Hier müssen wir uns deutlich hinterfragen, warum das so ist“, sagte Bollmann. Zu wenig Angebote für Jugendliche und mangelnde Barrierefreiheit waren weitere Kritikpunkte. Die Top-3- Verbesserungsvorschläge der Zugezogenen dürften sich in weiten Teilen mit denen der Bestandsradebeuler decken: Bessere Gehwege, weniger Verkehr, mehr Angebote für Kinder- und Jugendliche. Was will die Stadt mit der Erhebung? Sinn und Zweck der Erhebung ist natürlich nicht, mit irgendwelchen Klischees aufzuräumen. Vielmehr geht es um die Wahrnehmung der Stadt als Wohnort. „Wir haben heute schon einen Arbeitskräftemangel, den wir uns noch vor ein paar Jahren nicht vorstellen konnten“, sagte Wendsche mit Blick auf den akuten Personalmangel in der Gastronomie. Wendsche spricht mit Absicht von Arbeitskräftemangel (statt Fachkräftemangel). „So ehrlich sollten wir sein“, schiebt er hinterher.  Allein in Sachsen fehlen in den nächsten Jahren 20.000 bis 25.000 Arbeitskräfte jedes Jahr. Grund ist die demografische Entwicklung. Die geburtenstarken Jahrgänge (1950er/1960er) steigen nun aus dem Berufsleben aus. Der Geburtenknick und die Abwanderung nach der Wende führen dazu, dass weniger junge Menschen nachrücken. Im Schnitt, so Wendsche, sei jeder neu ins Berufsleben einsteigende Jahrgang derzeit durchschnittlich um ca. 30 Prozent kleiner als jener, der das Berufsleben verlässt. Die Schere zwischen Stadt und Land wird dabei besonders deutlich. Derzeit folgen von 100 Arbeitskräften, die das Seniorenalter erreichen, in den sächsischen Großstädten 196 junge Menschen auf eine Stelle. In den Landkreisen sind es hingegen nur 46. Besonders drastisch ist die Situation im Erzgebirgskreis hier bleiben zwei von drei freigewordenen Stellen leer. Radebeul steht in dem Vergleich noch relativ gut da.  Hier können von 3 Stellen immerhin noch zwei besetzt werden (68:100). „Unsere Stadt schrumpft nicht bei den jungen Erwachsenen. Damit sind wir im Landkreis aber die absolute Ausnahme“, so Wendsche. Die 18- bis 39-Jährigen sind deshalb so interessant, weil sie sich im reproduktionsfähigen Alter befinden, also für Nachwuchs sorgen. Wendsche geht es darum, diese Herausforderung offen zu kommunizieren und mit der gesamten Gesellschaft und über Stadtgrenzen hinweg nach Lösungen zu suchen. "Neue Wohnungen unbezahlbar" Den Zuzug zu forcieren oder wenigstens konstant zu halten, ist sicher ein Teil. Jedes Jahr entscheiden sich etwa 1600 Menschen für Radebeul. Demgegenüber stehen 1500 Bürger, die wegziehen. Allerdings wird das Bauland in Radebeul knapp, der Wohnungsmarkt ist schon länger angespannt. Dazu genügt ein Blick in Immobilienportale. Wer das Glück hat, eine der wenigen Bestandswohnung zu ergattern, zahlt noch einigermaßen verträgliche Mietpreise. Bei Neubauwohnungen geht es in Radebeul bei 11 Euro pro Quadratmeter los. „Für Familien mit einem normalen Haushaltseinkommen ist das unbezahlbar“, sagt Wendsche mit Blick auf die exorbitanten Baukosten. Auf diese Entwicklung kann die Stadt nur bedingt Einfluss nehmen. Die städtische Wohnungsgesellschaft und die beiden Wohnungsgenossenschaften halten etwa 30 Prozent des Radebeuler Mietwohnungsmarktes. Wendsches Worten nach, sollen sich auch künftig alle sozialen Schichten das Wohnen in Radebeul leisten können. Das Thema „Miete / Wohnraum“ – und das ist eben auch eine Erkenntnis - kam in der Umfrage kaum zur Sprache. Demnächst werden die Weggezogen angeschrieben. Dann sieht das vermutlich ganz anders aus.


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