Sandro Paufler / Roberto Rink

Sachsens Bildung im Wandel?

Sachsen. WochenKurier startete in diesem Jahr seine neue Serie zum Thema »Krankes Bildungssystem«. Im Gespräch mit Sachsens Kultusminister Christian Piwarz griffen wir nochmals die wichtigsten Problemfelder beim Thema Bildung auf.

Herr Piwarz, der Freistaat ist – wie ganz Deutschland – vom Lehrermangel betroffen und setzt dabei auf Quereinsteiger. Doch kann dies langfristig eine Lösung sein?

 

Christian Piwarz: In den letzten Jahren haben wir gute Erfahrungen mit dem Seiteneinstieg gemacht. Langfristig muss es aber natürlich das Ziel sein, dass das, was wir an Bedarfen haben, ausschließlich durch grundständig ausgebildete Lehrer gedeckt wird. Doch jetzt, in der Zeit der Not, ist es richtig und wichtig, auch auf die fachliche Expertise von Menschen außerhalb des Lehrerberufs zurückzugreifen.

Zum einen beginnen wieder mehr junge Menschen das Lehramtsstudium, dessen positive Auswirkungen wir aber erst in den nächsten fünf Jahren sehen werden. Zum anderen werden in rund fünf bis sechs Jahren an den Schulen wahrscheinlich die Schülerzahlen sinken, weil dann geburtenschwache Jahrgänge folgen. Somit werden wir ab diesem Zeitpunkt auch einen geringeren Lehrerbedarf haben. Wenn man das zusammenrechnet, werden mittelfristig Seiteneinsteiger wahrscheinlich weniger eine Rolle spielen. Ich bin aber der Überzeugung, dass wir in einzelnen technischen Berufen und in einzelnen Fachrichtungen auch in Zukunft Seiteneinsteiger brauchen.

 

Der Freistaat hat deutschlandweit eine der höchsten Schulabbrecherquoten, besonders bei Schülern mit Migrationshintergrund. Wie erklären Sie sich das und wie kann dem entgegengesteuert werden?

 

In Sachsen werden etwa die Schüler mit dem Förderschwerpunkt geistige Entwicklung und Lernen in der Statistik mitgeführt. Das ist in anderen Bundesländern nicht der Fall. Das erklärt die vergleichbar hohe Zahl. Dennoch ist insgesamt die Quote an Schülern ohne Hauptschulabschluss zu hoch. Deswegen sind wir bemüht, über verschiedene Modelle diese Schülerinnen und Schüler besser in ihren individuellen Problemlagen abzuholen. Wir werden die Zahl der Schulpsychologen beispielsweise jetzt deutlich erhöhen, weil uns der Sächsische Landtag dort mehr Stellen und Geld zur Verfügung gestellt hat. Wir haben auch ein sehr erfolgreiches Modell mit dem produktiven Lernen, wodurch insbesondere die praktischen Anteile einer schulischen Bildung gestärkt und Verbindungen zu Ausbildungsunternehmen geknüpft werden und so eine gute Vermittelbarkeit in die Berufsausbildung gegeben ist.

Beim Thema Schüler mit Migrationshintergrund haben wir ganz klar die Erfahrung gemacht, dass je früher ein Kind zu uns nach Deutschland kommt und je früher wir es ins Bildungssystem hineinbekommen, umso erfolgreicher sind unsere Möglichkeiten, nicht nur den Spracherwerb umzusetzen, sondern auch die Integration gelingen zu lassen, sodass später ein Schulabschluss dasteht. Bei älteren minderjährigen Flüchtlingen ist das schwieriger. Dort gelingt der Schulabschluss meist erst im Berufsvorbereitungsjahr. Dieser Umstand erscheint jedoch nicht in der Statistik der Schulabbrecher.

 

Die psychische Belastung hat bei den Schülern besonders seit der Corona- Zeit enorm zugenommen, aber auch die Lehrer sind aufgrund des erhöhten Arbeitsaufwandes stärker belastet. Wie wollen Sie Schüler und Lehrer besser schützen?

 

Wir haben alle eine zentrale Erkenntnis aus dieser Corona-Zeit gewonnen, dass Schulen und Kindergärten zu schließen immer nur das allerletzte Mittel sein darf. Mir war es immer wichtig, Schulen möglichst schnell wieder ans Netz zu bringen und so haben wir die kürzesten Schließzeiten aller Bundesländer gehabt. Was immer kontraproduktiv gewesen ist, sind wohlmeinende Stimmen aus Berlin, die immer anderes behauptet haben, Kinder in dieser Pandemie stigmatisiert und die vor allem die psychologischen und sozialen Folgen der Schließzeiten immer klein geredet haben.

Im Ministerium haben wir das Thema Gesundheitsmanagement ganz groß geschrieben und Stellen im Landesamt für Schule und Bildung besetzen können, die Achtsamkeits- und Resilienzangebote an Lehrkräfte unterbreiten. Wir wollen ganz gezielt, Stück für Stück, Schulassistenten an die Schulen bringen, die nicht nur im pädagogischen Bereich, sondern auch im Verwaltungsbereich Lehrkräfte entlasten sollen, sich um Kinder kümmern und auch bestimmte Verwaltungstätigkeiten übernehmen, sodass sich Lehrkräfte mehr auf die Arbeit mit den Schülern und den Unterricht konzentrieren können.

 

Herr Kultusminister, wie stellen Sie sich die Schule der Zukunft vor? Brauchen wir zukünftig überhaupt noch Lehrer oder werden diese gänzlich durch Künstliche Intelligenz ersetzt?

 

Wie die Schule der Zukunft aussehen sollte, diskutieren wir derzeit im Projekt »Bildungsland Sachsen« 2030. Eine der zentralen Fragen, die wir uns dabei stellen ist, welches Verhältnis es zwischen analoger und digitaler Welt geben wird. Die Erfahrung, die wir nicht nur aus Corona sondern beispielsweise auch aus den skandinavischen Ländern gesammelt haben ist, dass »digital« zwar vieles erleichtert und uns helfen kann, es aber zwingend immer die analoge Begleitung braucht.

Bei den Grundschulen sollten aber zunächst die Grundkompetenzen, wie Lesen, Schreiben und Rechnen, gefestigt werden – und das »analog«. Erst, wenn man darin fit ist, kann alles Weitere darauf aufbauen, bis hin zum Programmieren. Wir haben allerdings gemerkt, dass wenn wir digitale Lehr- und Lernmittel implementieren, wie beispielsweise die Selbstlernmodule seit Beginn dieses Schuljahres, Schülerinnen und Schülern die Möglichkeit geboten wird, sich selbst Wissen anzueignen und dieses auch abrufbar bei sich abzuspeichern. Aber es braucht immer eine Lehrkraft, die das Ganze vor- und nachbereitet und mit dem Schüler arbeitet. Somit halte ich es für eine Illusion, im Zuge der Digitalisierung mit weniger Lehrern auszukommen.

 

Wo steht Sachsen beim Thema Digitalisierung?

 

Verglichen mit anderen Ländern in Europa merken wir, dass Deutschland insgesamt Nachholbedarf hat. Was mich ärgert ist, dass wir noch nicht alle Schulen an das Glasfasernetz angeschlossen haben, was mit unserer komplizierten Struktur aus Marktteilnehmern und Staat zusammenhängt. Wir haben extra ein Sonderförderprogramm bis 2025 aufgelegt, um allen Schulen auch die breitbandige Erschließung anzubieten.

Wir sind als Staat allerdings nicht in der Lage, für alle Schülerinnen und Schüler dauerhaft digitale Endgeräte zur Verfügung stellen zu können, welche zudem alle fünf bis sieben Jahre erneuert werden müssen. Wir brauchen einen bestimmten Prozentsatz, der an Schulen vorrätig ist, der besonders von den Bedürftigen genutzt werden kann. Ansonsten müssen wir nach dem Modell »bring your own device« verfahren, also Schüler die Geräte, die sie ohnehin tagtäglich zu Hause nutzen, mit in die Schule bringen. Dabei müssen wir natürlich auch die Sicherheitsaspekte berücksichtigen.

 

Schulen kritisieren oft, dass es zu wenige Betreuer für ihre digitalen Systeme gibt. Wie wollen Sie das ändern?

 

Die Betreuung und Wartung digitaler Systeme ist eine kommunale Pflichtaufgabe und bedeutet eine große Herausforderung für die Schulträger. Besonders bei großen Schulen ist man ganz schnell bei einer hohen dreistelligen Anzahl von digitalen Geräten. Wir haben jetzt mit den kommunalen Spitzenverbänden für den laufenden Doppelhaushalt eine Vereinbarung getroffen, wie das finanziell zwischen Freistaat und Kommunen erst einmal abgesichert ist.

Ein großes Thema ist der Fachkräftebedarf. Ein gutes Beispiel ist das BSZ für Technik und Wirtschaft auf der Hellerhofstraße in Dresden, wo wir die Ausbildung zum »Fachpraktiker für Fachinformatik« eingeführt haben. Hier machen Schüler, auch aus dem Sonderpädagogischen Förderbereich, ihre Ausbildung und sind später für die Betreuung digitaler Systeme an Schulen einsetzbar.


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